Menschlichkeit statt Ökonomisierung
105. Deutscher Ärztetag in
Rostock eröffnet
Rostock (ots)
"Die Verwaltung von Krankheiten wird offensichtlich wichtiger als die Behandlung von Kranksein", sagte Bundesärztekammer-Präsident Prof. Dr. Jörg-Dietrich Hoppe am Dienstag in seiner Eröffnungsrede zum 105. Deutschen Ärztetag in Rostock. Er kritisierte die ausufernde Bürokratie im Gesundheitswesen, die sich unter anderem darin ausdrücke, dass etwa 2,5 Milliarden Euro für die Dokumentation der neuen Disease-Management-Programme aufgewendet werden müssten. "Die Zeit, die wir zum Ausfüllen der Dokumentationsbögen brauchen, ist verlorene Zeit für die Patientenbehandlung." Wenn diese Entwicklung so weitergehe, gebe es bald mehr Kontrolleure als Kontrollierte im Gesundheitswesen.
Würde die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) zudem "nicht fortwährend als sozialpolitischer Verschiebebahnhof missbraucht", müsste sie kein milliardenschweres Defizit beklagen, sagte Hoppe. Fast 25 Milliarden Euro seien so der GKV in den letzten zehn Jahren entzogen worden. Zudem könnte eine Steuerfinanzierung versicherungsfremder Leistungen die GKV um mindestens 2,3 Milliarden Euro entlasten. Hoppe plädierte außerdem für eine Neudefinition der Solidarität bei der Beitragsberechnung. "Jeder sollte entsprechend seiner finanziellen Möglichkeiten einen Beitrag leisten - deshalb brauchen wir eine Erweiterung der Einnahmebasis über das Arbeitseinkommen hinaus und eine faire Gestaltung der Mitversicherung."
Die Koppelung der Disease-Management-Programme an den Risikostrukturausgleich zeige die "unheilvolle Verquickung von Medizin und Ökonomisierung", sagte der Ärztepräsident. Die Gefahr sei groß, dass chronisch Kranke nur noch als Kosten- und Normgrößen im Finanzausgleich der Krankenversicherungen gehandelt und die Behandlungsprogramme zu "Verwaltungsdekreten einer kassengesteuerten Medizin" würden.
Der Berufsstand dürfe nicht durch pure Ökonomisierung zerschlagen werden. "Sonst wird aus dem Traumberuf Arzt wirklich ein Albtraumberuf", so Hoppe. Schon jetzt hätten eine ruinöse Kostengesetzgebung, unmenschliche Arbeitsbedingungen und der diffamierende Umgang mit dem Arztberuf die Motivation nicht nur unter Deutschlands Jungmedizinern auf einen Tiefpunkt sinken lassen. Die Zahl der Medizinstudenten nimmt stetig ab (in sieben Jahren von 90.600 auf 80.200). In fünf Ärztekammerbezirken ist die Zahl der stationär tätigen Ärzte bereits zurückgegangen. Bis zum Jahre 2010 werden vermutlich 22.000 Hausärzte, vor allem im Osten, ausscheiden. "Es gibt nichts zu beschönigen: Die Nachwuchsprobleme in der deutschen Ärzteschaft sind gravierend. Deshalb müssen wir endlich ein Umdenken hin zur Medizin schaffen und die Rahmenbedingungen ärztlicher Berufsausübung so gestalten, dass junge Menschen diesen Beruf wieder mit Freude ergreifen", sagte Hoppe.
Rückfragen an Pressestelle der deutschen Ärzteschaft Tel.: 030/30889830
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