Deutsche Film- und Medienbewertung (FBW)
"Besonders wertvoll" für Michael Fassbender in MACBETH/Höchstes FBW-Prädikat auch für französische Tragikomödie MADAME MARGUERITE und den Dokumentarfilm DIE HÄLFTE DER STADT
Wiesbaden (ots)
Schon viele Filmemacher wurden von William Shakespeares MACBETH zu faszinierenden Werken inspiriert. Der australische Regisseur Justin Kurzel wagt sich nun mit hochkarätiger Besetzung - Michael Fassbender als Macbeth und Marion Cotillard als Lady Macbeth - erneut an das Stück aus dem späten 16. Jahrhundert, das Aufstieg und Fall eines von Ehrgeiz und Machthunger besessenen Herrschers im mittelalterlichen Schottland behandelt. Die fünfköpfige Jury der FBW vergab das höchste Prädikat "besonders wertvoll" und schreibt in ihrer Begründung: "Die auf das wesentliche reduzierte Kamera und das klug eingesetzte Sound Design, das wichtige musikalische Akzente setzt, verleihen dem Film eine intensive und bedrohliche Atmosphäre, die den wachsenden Wahnsinn des machtbesessenen Macbeth und seiner von Schuld überwältigten Frau detailliert nachvollzieht. (...) Das höchste Prädikat erscheint dem Hauptausschuss als die gerechtfertigte Anerkennung dieser mutigen Interpretation der Tragödie um die Verkehrung aller menschlicher Ordnung in unheilvolles Chaos." Der Film startet am 29. Oktober in den Kinos.
In seiner Tragikomödie MADAME MARGUERITE ODER DIE KUNST DER FALSCHEN TÖNE (Start: 29. Oktober) greift Xavier Giannoli die wahre Geschichte der "schlechtesten Sängerin der Welt", wie Florence Foster Jenkins genannt wurde, auf, und verlegt sie nach Frankreich, in die 1920er Jahre. Regelmäßig bittet Marguerite Dumont Besucher in ihr Landhaus, um mit Gesangsdarbietungen die Gäste zu unterhalten. Das Problem ist nur: Eigentlich kann Marguerite nicht singen. Doch niemand traut sich, ihr diese Wahrheit mitzuteilen. Und als ein öffentliches Konzert bevorsteht, ist guter Rat teuer. Die Expertenrunde der FBW hob unter anderem das "hinreißende" Spiel von Catherine Frot in der Titelrolle hervor und lobte darüber hinaus den Film als "Kunst- und Medienreflexion". Dadurch sei Xavier Giannoli ein "anspruchsvoller" und gleichzeitig ein "emotinal berührender" Film gelungen, dem sie das Prädikat "besonders wertvoll" verlieh.
Der Dokumentarfilm DIE HÄLFTE DER STADT (Start: 5. November) erzählt die Geschichte von Chaim Bermann, der 1890 in dem polnischen Städtchen Kozienice geboren wurde und dort bis zum Holocaust als Gemeindepolitiker und Fotograf lebte und wirkte. Immer setzte er sich ein für ein friedliches Miteinander der dort lebenden Polen, Deutschen, Juden und Christen. Doch dann kam der Nationalsozialismus nach Kozienice. Der Regisseur Pawel Siczek nimmt die vielen Fotografien von Bermann als Ausgangspunkt für seinen halbanimierten Dokumentarfilm, um sich nicht nur dem Leben des Menschen zu widmen, sondern auch eine Reise zu unternehmen. Eine Reise in die jüdische Geschichte einer polnischen Stadt. "Insgesamt", so die FBW-Jury in ihrer Begründung, "ist dies nicht nur ein außergewöhnlicher Dokumentarfilm, sondern auch eine außerordentlich verdienstvolle Aufarbeitung von Geschichte". Hierfür vergab sie das höchste Prädikat "besonders wertvoll".
Mehr Informationen zu aktuellen und kommenden FBW-Empfehlungen unter www.fbw-filmbewertung.com.
Die Deutsche Film- und Medienbewertung (FBW) zeichnet herausragende Filme mit den Prädikaten wertvoll und besonders wertvoll aus. Über die Auszeichnungen entscheiden unabhängige Jurys mit jeweils fünf Filmexperten aus ganz Deutschland. Die FBW bewertet die Filme innerhalb ihres jeweiligen Genres.
Prädikatsfilme vom 29. Oktober bis 5. November 2015
Macbeth
Drama, Literaturverfilmung. Spielfilm. Großbritannien, Frankreich 2014.
Macbeth hat die Worte der drei Hexen noch im Ohr, als er von einer erfolgreichen Schlacht zurückkehrt: Er werde König von Schottland werden und die absolute Macht erringen. Als Lady Macbeth davon erfährt, redet sie beschwörend auf ihren Mann ein, diese Prophezeiung wahr werden zu lassen. Dafür muss der momentan herrschende König sterben. Macbeth jedoch zweifelt. Denn dies ist nicht die einzige Prophezeiung, die sein Schicksal von diesem Moment an bestimmen wird. Das ewige Streben nach Macht und das Zerbrechen an den begangenen Sünden - dies sind die Themen, die William Shakespeare im Jahr 1606 in seiner Tragödie rund um den schottischen König Macbeth aufgriff. Angesiedelt ist die Geschichte im 11. Jahrhundert. Doch die Verse Shakespeares und die verhandelten Themen könnten auch heute nicht aktueller und zutreffender sein. Der australische Regisseur Justin Kurzel verwendet in seiner grandiosen und epochalen Verfilmung des Stoffes die klassische Sprache Shakespeares und kürzt den Text auf genau das richtige Maß. Als Lady Macbeth, die von Ehrgeiz und Lebensfrust zerfressene Frau, brilliert Marion Cotillard. Durch einen von Kurzel und den Autoren hinzugefügten Prolog wird die Psychologie ihrer Figur noch komplexer und ihre Motive klarer. Paddy Considine als loyaler Banquo, der sich gegen den Tyrannen auflehnt, und David Thewlis als gütiger König spielen ihre Rollen, ebenso wie der Rest des Casts, mehr als überzeugend. Für Macbeth selbst scheint es keine idealere Besetzung als Michael Fassbender zu geben. Die Wandlung vom rückratlosen Zauderer hin zum rücksichtslosen und machtbesessenen Tyrannen, der an den Konsequenzen seines Tuns zerbricht, stellt Fassbender absolut glaubhaft dar. Oftmals sind es nur Nuancen in der Mimik, die seine charakterliche Wandlung verraten. Fassbenders Spiel ist kraftvoll, intensiv und unglaublich nuanciert. Die fantastische Kamera von Adam Arkapaw geht ganz auf das Spiel der Darsteller ein, schafft beeindruckende Panoramen der mythisch aufgeladenen und nebelumrankten Highlands und kammerspielartige darstellerische Duelle im Nahen zugleich. Immer wieder greift Kurzel auf das dramaturgisch perfekt gesetzte Spiel mit Farben, Licht und Symbolen zurück. Atmosphärisch abgerundet wird die Inszenierung von einem bass- und kraftbetonten Sounddesign. Am Ende besiegelt der Film die Interpretation des Stückes mit einem Ausblick in eine Zukunft, die den ewigen Kreislauf von Machtkampf und Intrige fortsetzt. Mit MACBETH gelingt es Kurzel, die Faszination von Shakespeares Vorlage nicht nur zu vermitteln, sondern sie noch zu verstärken. Eine kraftvolle, kongeniale und beeindruckende Neuverfilmung eines ewigen Klassikers.
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Madame Marguerite oder die Kunst der schiefen Töne Tragikomödie, Spielfilm. Frankreich, Tschechien 2015.
Frankreich, in den Zwanziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Regelmäßig bittet Marguerite Dumont Besucher in ihr Landhaus, zu Tee, Häppchen und Gesangsdarbietungen. Den Starauftritt behält sie sich stets selbst vor. Und die Besucher sind begeistert. Vor allem jedoch von den anderen Sängern. Denn Marguerite Dumont kann keinen Ton gerade herausbringen. Aber niemand hat den Mut, ihr dies offen zu sagen. Ihr Mann will einfach nur seine Ruhe haben. Die Menschen, die sie unterstützt, nutzen sie lieber aus als ihre Freunde zu sein. Und ihr ergebener Diener Madelbos sieht es als seine Aufgabe an, seine Herrin vor jeglicher Kritik abzuschirmen. Und so verbrennt er negative Presseberichte, besticht Kritiker und unterstützt Madame in ihrem Selbstbetrug. Als Marguerite jedoch plant, ein Konzert vor richtigem Publikum zu geben, ist guter Rat teuer: Wir lange wird es dauern, bis sie dahinter kommt, dass sie all die Jahre an ein Talent glaubte, welches sie nicht besitzt. Von brüllend komisch über berührend bis hin zu tief tragisch: Dem Film von Xavier Giannoli gelingt es, in zwei Stunden so viele Facetten der Tragikomödie anzuschlagen, wie es selten der Fall ist. Inspiration fand der Regisseur in der wahren Geschichte der "schlechtesten Sängerin der Welt", Florence Foster Jenkins, die in den 1930er und 1940er Jahren mit ihrer "Kunst" in Amerika für Furore sorgte. Doch Giannoli verlegt die Handlung in das Paris der 1920er Jahre und nutzt die Gelegenheit, auch auf gesellschaftliche und kulturelle Entwicklungen der Zeit einzugehen. Die Jugend wendete sich ab von den Traditionalisten und der Bourgeoisie - Dadaismus und moderne Musik standen klassischen Künsten revolutionär gegenüber. Verkörpert wird diese Generation von den beiden Journalisten Lucien und Kyril und der jungen Musikerin Hazel, allesamt wunderbare Puzzlestücke in einem herrlich schimmernden Figurenpanoptikum. Doch im Zentrum schimmert immer die tragische Heldin der Geschichte, Marguerite. Catherine Frot ist sensationell in ihrem Spiel. Ihr gelingt es mit präziser Darstellung die Naivität von Marguerite zu verkörpern, ohne sie je der Lächerlichkeit preiszugeben. Denn Marguerite ist warmherzig, mitfühlend und in ihrer Einsamkeit eine tieftraurige Figur. Sie sehnt sich nach der Liebe ihres kalten abweisenden Mannes, nach Freunden, die sie niemals hatte und nach Respekt, der ihr verwehrt bleibt. Denn jeder nutzt sie aus und liebt sie nie um ihrer selbst willen. Diese Tragik sieht man eingeschrieben in Marguerites Gesicht und die formidable Kamera von Glynn Speeckaert fängt sie gekonnt ein. Faszinierend sind zudem Ausstattung und Kostüm des Films, die den Zuschauer eintauchen lassen in die schillernde Welt der goldenen Zwanziger Jahre. MADAME MARGUERITE ODER DIE KUNST DER SCHIEFEN TÖNE ist eine kluge Reflektion über moderne Kunst, die Avantgarde und die Macht der Medien. Und dazu ein unterhaltsames und tief berührendes Porträt einer beeindruckenden Frau, die sich allem Spott zum Trotz eines niemals nehmen ließ: die Leidenschaft und Liebe zur Musik.
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Die Hälfte der Stadt
Dokumentarfilm. Deutschland 2015.
Chaim Berman kommt 1890 im polnischen Städtchen Kozienice zur Welt. Bereits sehr früh begeistert er sich für Fotografie und lernt sein Handwerk vom eigenen Vater. Schon vor dem Ersten Weltkrieg portraitiert er die Bewohner von Kozienice - Polen, Juden und Deutsche, die hier friedlich nebeneinander leben. Berman lebt das Ideal der friedlichen Koexistenz. Seine Überzeugungen stoßen auf Widerstände, als sich das politische Klima in den 1930er Jahren verfinstert und der brutale Chauvinismus sich in Europa immer weiter durchsetzt. Bis zum Schluss weigert sich Berman, Polen zu verlassen, da er an eine friedliche Lösung glaubt. Diese Haltung wird ihm zum Verhängnis, als seine Familie dem Holocaust zum Opfer fällt. Bermans ehemalige Freunde werden plötzlich zu Feinden, während Menschen, die er vorher nicht sonderlich schätzte, zu Rettern werden. Die Suche nach Chaim Berman und seinem Schicksal beginnt für den Regisseur Pawel Siczek mit den Glasnegativen, die Berman hinterlassen hat. Er fragt die Bewohner nach ihren Erinnerungen, er begleitet einen jungen Fotografen und seine Lebensgefährtin bei der Motivsuche im heutigen Kozienice. Und er begibt sich selbst auf die Suche nach dem Menschen, der Chaim Berman zuletzt gesehen hat. Es ist die Tochter von Antoni Kaczor, der die Bermans im Krieg bei sich versteckte. Ergreifend sind die Momente, wenn die nun ältere Dame nach Kozienice zurückkehrt und von damals erzählt, von den Momenten des Schreckens, des ständigen Auf-der-Hut-seins, der permanenten Bedrohung. Um die Erinnerungen zu visualisieren, bedient sich Siczek dem Mittel der Animation. Er nutzt sie auch als ein buntes, lebensbejahendes Mittel, um das zerstörte Leben zu rekonstruieren und über die polnische Welt der Zeit vor dem Krieg zu erzählen Zusätzlich berührt der Film durch die kluge und sensible Montage der einzelnen Szenen. Immer wieder kehrt der Film zu den Negativaufnahmen zurück. Ohne Kommentar lässt er die Fotografien wirken. Und dann kann man sich, ähnlich wie der Fotograf, der Faszination des Mediums nicht entziehen. Denn hinter jeder Fotografie steckt Chaim Berman selbst. Ein Mann, der wie so viele zum Opfer der Nazis wurde. Und der doch durch seine Aufnahmen und seine Überzeugungen unvergessen bleibt. Ein wichtiges filmisches Zeitzeugnis.
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