ZEIT-Interview mit Maria Blettner, der soeben zurückgetretenen Vorsitzenden der Strahlenschutzkomission (SSK)
Hamburg (ots)
DIE ZEIT: Frau Blettner, Sie sind soeben als Vorsitzende der Strahlenschutzkommission (SSK) zurückgetreten, aus Zorn über Jürgen Trittin. Was ist passiert?
Maria Blettner: Die SSK soll wissenschaftlich begründete Stellungnahmen und Empfehlungen für die Politik erarbeiten. Aber ich habe den Eindruck gewonnen, dass die Politik von vornherein genau weiß, was sie hören will. Und um entsprechende SSK-Stellungnahmen zu bekommen, macht sie eine einseitige Personalpolitik.
DIE ZEIT: Zum Beispiel?
Blettner: Nehmen wir den Fall, der für mich das Ende der Fahnenstange bedeutete: die Berufung des Strahlenmediziners Horst Kuni. Unsere Kommission, auch in der jetzigen Zusammensetzung, die von Jürgen Trittin bestimmt wurde, hat die Berufung Kunis mehrheitlich abgelehnt, weil er seit Jahren nicht mehr in anerkannten Journalen publiziert und lediglich dadurch hervortritt, dass er minimale Risiken skandalisiert. Wenn er recht hätte, müssten zum Beispiel alle Polizisten, die einem Castor-Behälter nahekommen, demnächst tot umkippen. Das ist doch unseriös. Wie sollen wir mit solchen Leuten, und er ist nicht der einzige, ernsthaft arbeiten? Zum Beispiel über die Strahlenrisiken durch Radon, von Handys oder Sendemasten, beim Abbau von Atomkraftwerken oder durch neue Techniken in der Medizin? Trittin jedoch hat sich über das eindeutige Votum der SSK hinweggesetzt.
DIE ZEIT: Aber es müssen doch verschiedene Meinungen in der SSK vertreten sein?
Blettner: Sind sie auch. Doch wenn das dazu führt, dass nur noch allgemein über die Gefahren schwacher Strahlung debattiert wird, anstatt über die Strahlenschutzgesetzgebung, zum Beispiel die wirklichen Strahlenrisiken für Schwangere im Krankenhaus - dann braucht man so eine SSK nicht.
DIE ZEIT: Die Politik will nicht beraten werden?
Blettner: Ich weiß nicht genau. Jedenfalls, so scheint es, nicht durch eine wissenschaftlich arbeitende Kommission, sondern durch Gesinnungsfreunde. Wer mich kennt, weiß, dass ich nie und nimmer eine Lobbyisten der Atomindustrie war. Ich bin Epidemiologin und befasse mich mit der Statistik von Strahlenerkrankungen und nehme den Strahlenschutz sehr ernst. In den vergangenen Monaten konnte ich aber kaum an diesen Themen arbeiten, nicht dazu, weil das Trittin-Ministerium dauernd personalpolitisch an der SSK herumoperiert hat.
DIE ZEIT: Was wollen Sie, eine SSK ist nun einmal auch ein politisches Gremium.
Blettner: Jedenfalls hat die SSK vor Trittin auf hohem Niveau über die natürliche Strahlenbelastung gearbeitet, die Studie über den Uranerzbau in Sachsen und Thüringen begleitet, Stellungnahmen zu Strahlenrisiken in der Medizintechnik erarbeitet. Trittin hatte in der neuen Satzung 1999 sogar ausdrücklich geregelt, dass wir ein wissenschaftliches Gremium sind. Bewertungen sollte die Politik vornehmen. Ich wünschte, es wäre dabei geblieben.
DIE ZEIT: Haben Sie mit Trittin darüber gesprochen?
Blettner: Aber gewiss. Aber es ist schwer, mit ihm über Strahlenrisiken zu sprechen, ihn scheint das Thema nicht wirklich zu interessieren.
DIE ZEIT: Und was machen Sie jetzt?
Blettner: Studien. Wissenschaftliche, saubere, anstrengende Studien, in denen etwas herausgefunden und nicht bloß herbeigeredet werden soll.
Diese PRESSE-Vorabmeldung aus der ZEIT Nr. 21 mit Erstverkaufstag am Donnerstag, 17. Mai 2001, ist unter Quellen-Nennung DIE ZEIT zur Veröffentlichung frei.
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