Ex-Bundeskanzler Helmut Schmidt in der ZEIT über seine Lehrjahre: "Ich habe beim Lernen viel Glück gehabt"
Hamburg (ots)
Helmut Schmidt, 82, Bundeskanzler vom 1974 bis 1982, Autor und einer der Herausgeber der Wochenzeitung DIE ZEIT, berichtet in der neuen Ausgabe über seine Lehrjahre.
Er besuchte die Lichtwarkschule, wo die musischen Fächer Musikerziehung und Kunsterziehung ganz groß geschrieben wurden. Diese haben Schmidt einen entscheidenden Anstoß gegeben: "Von den Naturwissenschaften lässt sich das nicht sagen, denn sie wurden dort eher vernachlässigt. Das gilt leider auch für die Fremdsprachen; so habe ich nur Englisch und ein wenig Latein gelernt." Schmidt weiter: "Die wahrscheinlich wichtigste Mitgift der Lichtwarkschule war aber die Selbstständigkeit, zu der sie erzog ... Wir lernten kritisch und selbstständig zu denken." Die koedukative Schule, damals eine Seltenheit, "hat mir die Chance gegeben, meine spätere Frau Loki kennen zu lernen."
1937, nach Auflösung der Schule, wurde Helmut Schmidt Soldat. Nach einem Einsatz an der Ostfront diente er einem nachgeordneten Stab des Oberkommandos der Luftwaffe: "Meine Aufgabe bestand hauptsächlich darin, Ausbildungs- und Schießvorschriften für neue Maschinenwaffen zu verfassen. Das musste sorgfältig, preußisch vonstatten gehen und war mit viel Schriftverkehr verbunden. Immerhin habe ich dabei erfahren, wie eine Bürokratie funktioniert. Von diesem Wissen konnte ich bei meiner späteren politischen Tätigkeit viel profitieren."
In britischer Gefangenschaft in Belgien, gewann er wichtige Erkenntnisse ganz anderer Art: "Wir haben eine Art Lehrbetrieb aufgemacht" - besonders beeindruckte ihn der hochdekorierte Hans Bohnenkamp, Oberstleutnant der Reserve, 20 Jahre älter als Schmidt. Bohnenkamp hatte vor dem Krieg als Professor Pädagogik gelehrt. "Jetzt analysierte er für uns junge Zuhörer aus einer christlichen und sozialen Grundhaltung heraus, was in den vergangenen Jahren an Furchtbarem geschehen war, und sprach darüber, wie sich Deutschland verändern müsse. Bohnenkamp hat mir beigebracht, was Demokratie und Rechtsstaat bedeuten. Unter seinem Einfluss bin ich im Gefangenenlager zum Sozialdemokraten geworden."
"Wenn ich heute gefragt werde, wer oder was mich in meinem Leben am stärksten geprägt hat, muss ich die Antwort schuldig bleiben. Ich kann aber sagen, dass ich beim Lernen viel Glück gehabt habe. Ich konnte eine Schule besuchen, die mich selbstständiges Denken gelehrt und an die Kunst herangeführt hat; ich habe in der Wehrmacht Vorgesetzte gehabt, die keine Nazis waren und mir gedanklichen Freiraum ließen; während der Kriegsgefangenschaft traf ich den Menschen, der mir eine neue politische Welt eröffnete, und ich durfte mit Staatsmännern wie Fritz Erler und Jean Monnet zusammenarbeiten, die mir in der Politik zum Vorbild wurden. Dies alles waren Glücksfälle für jemanden wie mich, dessen Lehrjahre in sehr unruhige Zeiten fielen."
Diese PRESSE-Vorabmeldung aus der ZEIT Nr. 37/2001 mit Erstverkaufstag am Donnerstag, 06. September 2001, ist unter Quellen-Nennung DIE ZEIT zur Veröffentlichung frei. Der Wortlaut des ZEIT-Beitrags kann angefordert werden.
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