EU-Sozialkommissarin droht Deutschland mit Klage
Hamburg (ots)
Die griechische EU-Sozialkommissarin Anna Diamantopoulou droht Deutschland und Griechenland mit einer Klage vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH). "Alle Mitgliedsländer müssten längst zwei Richtlinien (die Diskriminierungs-Richtlinie und die Gleichbehandlungs-Richtlinie in Beschäftigung und Beruf) umgesetzt haben, die jede Diskriminierung wegen Alter, Rasse oder Hautfarbe verbieten. Die meisten Länder haben das auch schon getan, oder sie sind dabei. Aber es gibt eben auch zwei Mitglieder, die im Verzug sind: Deutschland und Griechenland," sagt sie der ZEIT
Die Kommissarin will auch im Fall von Alterdiskriminierung gegen Deutschland vorgehen, weil es die Gleichstellungs-Richtlinie immer noch nicht in nationale Gesetze umgesetzt habe. Sie macht klar, dass beispielsweise Banken oder Versicherungen, die alte Menschen oder Frauen tariflich benachteiligen, gegen europäische Prinzipien verstoßen. Diese Prinzipien habe, so Diamantopoulou, auch die Bundesregierung unterschrieben und sei demnach verpflichtet, sie anzuwenden.
"Frauen werden ausgebeutet"
EU-Sozialkommissarin Anna Diamantopoulou über sexistische Usancen in Europa, faire Versicherungstarife und zögerliche deutsche Gesetzgeber
DIE ZEIT: Frau Kommissarin, Sie haben in ganz Europa für Furore gesorgt, weil Sie angeblich den Boulevardblättern die Pin-up-Girls verbieten wollen.
Anna Diamantopoulou: Ich bin nie zuvor so oft neben nackten Frauen abgebildet worden. Das ist schon eine Erfahrung der besonderen Art.
ZEIT: Denken Sie ernstlich an ein Verbot?
Diamantopoulou: Zunächst eine politische Antwort: Mich stört es, wie Zeitungen da nackte Frauen und Sexdienste ausbeuten. Das verstößt gegen die Menschenwürde, wir sollten das nicht hinnehmen. Doch juristisch, etwa per EU-Richtlinie, kann man dagegen wenig tun. Deswegen habe ich ja von Anfang an klargemacht, dass hier ein großes Missverständnis vorliegt. Gesetzlich hatte die EU-Kommission da gar nichts geplant. Das hat aber die meisten Journalisten nicht weiter interessiert, nachdem die Financial Times die Geschichte einmal gedruckt hatte. So etwas verkauft sich gut: Die "Große Schwester" aus Brüssel will in unserem Leben herumpfuschen!
ZEIT: Also alles ein großes Missverständnis?
Diamantopoulou: Ich bin dafür, dass wir uns in Europa auf einen Verhaltenskodex einigen. Es ist nicht in Ordnung, wenn Zeitungen unter zwei wunderschöne Frauen den Text schreiben: "Zwei für den Preis von einer." So was sollten wir nicht hinnehmen - egal, ob es dabei um Frauen oder Männer geht. Aber dagegen müssten die nationalen Behörden etwas tun. Die Kommission in Brüssel hat da keinen Einfluss.
ZEIT: Sind die europäischen Rechtssysteme, sind Wirtschaft und Gesellschaft sexistisch?
Diamantopoulou: Nein, lassen Sie uns nicht übertreiben. Allerdings können und müssen wir darauf achten, dass niemand wegen seines Geschlechtes benachteiligt wird. Bei der Beschäftigung haben wir schon einiges unternommen. Beispielsweise wurde in den frühen neunziger Jahren eine Richtlinie verabschiedet, die gleichen Lohn für Männer und Frauen forderte. Damals gab es wüsten Widerstand. Studien aller Art prognostizierten, dass Frauen aus dem Arbeitsmarkt gedrängt würden. 15 Jahre später ist nichts davon eingetreten. Im Gegenteil: Der Anteil der berufstätigen Frauen ist sogar gestiegen. So weit sind wir in anderen Bereichen noch nicht.
ZEIT: Haben Sie ein Beispiel?
Diamantopoulou: Alle Mitgliedsländer müssten längst zwei Richtlinien umgesetzt haben, die jede Diskriminierung wegen Alter, Rasse oder Hautfarbe verbieten. Die meisten Länder haben das auch schon getan, oder sie sind dabei. Aber es gibt eben auch zwei Mitglieder, die im Verzug sind: Deutschland und Griechenland.
ZEIT: Warum ausgerechnet Ihr Land und unseres?
Diamantopoulou: In Griechenland haben die Politiker das Ganze einfach verzögert. In Deutschland gab es hingegen eine breite Debatte, aber offensichtlich auch starken Widerstand - beispielsweise gegen das Verbot der Altersdiskriminierung. Offensichtlich haben Juristen eine Menge Argumente dafür, dass eine Veränderung der Gesetze legale und ökonomische Probleme verursachen könnte.
ZEIT: Dabei leidet eine wachsende Zahl alter Menschen darunter, dass sie beispielsweise von Banken keine Kredite mehr bekommen. Was können Sie tun, um den Betroffenen zu ihrem Recht zu verhelfen?
Diamantopoulou: Die Richtlinien, die so etwas verhindern sollen, sind einst mit Zustimmung der Bundesregierung verabschiedet worden. Also muss sie diese endlich auch in nationales Recht gießen. Wenn das bis Ende Januar nicht passiert, werden wir ein Verfahren gegen Deutschland einleiten.
ZEIT: Sie haben inzwischen noch eine weitere Richtlinie vorgeschlagen, die unter anderem die Diskriminierung im Wirtschaftsleben verhindern soll. So soll beispielsweise Versicherungen verboten werden, Frauen künftig bei der Krankenversicherung einen höheren Tarif zu berechnen als Männern. In Deutschland erhebt sich auch dagegen Protest, sodass die Bundesregierung mit ihrer Zustimmung zögert. Wie kann man sie überzeugen?
Diamantopoulou: Es heißt immer, Unisextarife würden die Preise für alle Versicherten nach oben treiben. Das Gegenteil lässt sich beweisen. Denn es gibt schon heute schwedische und französische Versicherungen, die nicht zwischen Frauen und Männern unterscheiden. Und die kommen nicht teurer als andere, diese Unternehmen behaupten sich also im Wettbewerb. Natürlich ist es für die Versicherungen sehr leicht, zwischen Männern und Frauen zu unterscheiden. Aber damit machen sie es sich zu einfach. Denn Wissenschaftler haben längst bewiesen, dass die Lebenserwartung fast nichts mit dem Geschlecht, aber sehr viel mit dem Lebensstil zu tun hat. Eine Frau, die im Büro arbeitet, hat natürlich eine längere Lebenserwartung als ein Mann, der im Bergbau schuftet.
ZEIT: Würden Sie unterschiedliche Tarife für Raucher und Nichtraucher akzeptieren?
Diamantopoulou: Ja, denn man kann wählen, ob man raucht oder nicht raucht. Ob man als Frau oder Mann geboren wird, ist hingegen Schicksal. Wegen des gleichen Argumentes ist es übrigens in Deutschland nicht erlaubt, zwischen Rassen zu unterscheiden. Sie dürfen keine speziellen Tarife für Türken oder Griechen, Asiaten oder Afrikaner einführen. Dabei träfe man auf große Unterschiede, wenn man Tabellen über deren Lebenserwartung untersuchen würden. Übrigens lehne ich aus den gleichen Gründen auch günstigere Frauentarife in der Kfz-Versicherung ab. Ich habe allerdings nichts dagegen, wenn man unfallfreien Fahrern und Fahrerinnen nach ein paar Jahren bessere Tarife einräumt. Wie man fährt, ist schließlich eine freie Entscheidung.
ZEIT: Die deutsche Justizministerin Brigitte Zypries hat unlängst gesagt, man könne durch Gesetze eine Gesellschaft nicht gestalten.
Diamantopoulou: Ich kann ihr nur zustimmen. Daran habe auch ich nie geglaubt. Verändern kann man durch Erziehung oder über die Medien. Per Gesetz sollte man allerdings für Mindeststandards sorgen und verhindern, dass Grundrechte missachtet werden. Die Geschichte lehrt, dass wir darum eine Kombination aus Politik und Gesetzgebung brauchen.
Das Gespräch führten Petra Pinzler und Joachim Fritz-Vannahme
Anna Diamantopoulou ist Griechin, Bauingenieurin, Sozialistin und seit 1999 als EU-Kommissarin für Beschäftigung und Soziales in der Gemeinschaft zuständig. Im Juni 2000 stimmte der EU-Ministerrat ihrer Richtlinie für Gleichbehandlung ("Diskriminierungs-Richtlinie") zu, im November dann auch der "Gleichbehandlungs-Richtlinie in Beschäftigung und Beruf". Deutschland hätte diese beiden Beschlüsse, die Rot-Grün in Brüssel damals unterstützte, inzwischen in nationale Gesetze umsetzen müssen, hat dies aber bislang versäumt. Deshalb droht Diamantopoulou mit einer Klage vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH). Außerdem sieht sie in unterschiedlichen Versicherungstarifen für Mann und Frau einen Verstoß gegen die europäischen Prinzipien.
Diese PRESSE-Vorabmeldung der ZEIT Nr. 1 mit Erstverkaufstag am Montag, 22. Dezember 2003 stellen wir Ihnen gerne zur Verfügung.
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