Richard Sennett über seine amerikanischen Landsleute: "Monster sind sie nicht. In Wahrheit sind sie Kinder"
Hamburg (ots)
Der in London lebende amerikanische Soziologe Richard Sennett hat nach seiner Rückkehr nach Amerika einen "Kulturschock" erlitten, sagt er der ZEIT. Er sei verblüfft darüber, wie seine Landsleute mit der Hurrikan-Katastrophe umgehen. Für die schwarzen Amerikaner bedeute die Katastrophe von New Orleans die Auffrischung einer alten Erfahrung. Sennet: "Es wurde ihnen wieder bewusst, dass sie in der amerikanischen Gesellschaft im weitesten Sinne unsichtbar sind. Die Schwarzen dringen ins Bewusstsein der Masse nur vor, wenn Dinge falsch laufen, wenn Katastrophen und Verbrechen geschehen. Die Diskussionen um 'Rassenfragen' in New Orleans drehen sich stets um die Probleme, die diese armen Schwarzen machen." Deshalb habe die amerikanische Presse "die relativ geringfügigen Szenen des Plünderns, die Schüsse auf Rettungsmannschaften zum Symbol des Desasters erhoben".
Das Urproblem der Amerikaner bestehe laut Sennett darin, die Realität zu akzeptieren. Das gelte auch für den Irak-Krieg: "Ganz langsam ist in das Bewusstsein der amerikanischen Bevölkerung eingedrungen, was für ein Desaster der Irak-Krieg gewesen ist. Es hat zwei Jahre gedauert, bis die Leute das begriffen haben." Der Soziologe: "Dazu passt, dass man nicht in eine Infrastruktur der Sicherheit, nicht in Hilfs- und Rettungsmaßnahmen investiert - sei es in New Orleans, sei es in Kalifornien. Die Fantasie ist: Somehow we'll master it! Irgendwie kriegen wir's hin." Seine Landsleute seien nicht bösartig, sie seien nur in der Mehrheit ignorant. "Monster sind sie nicht. In Wahrheit sind sie Kinder. Kinder, die mit der Welt der Erwachsenen konfrontiert werden."
Richard Sennett, der seit zehn Jahren in London lebt und lehrt, hat soeben eine Gastprofessur am Massachusetts Institute of Technology (MIT) angetreten.
Das komplette Interview der ZEIT Nr. 38 vom 15.9.2005 senden wir Ihnen gerne zu.
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