Lausitzer Rundschau: Warum malt Woidke das BER-Aufsichtsratsdebakel schön?
Der kleine Sündenfall
Cottbus (ots)
Es ist der Klassiker: Ein Politiker erreicht eine besondere Stellung. Er wird Bürgermeister, Landrat oder Ministerpräsident. Endlich kann er beweisen, dass es anders geht. Jetzt kann er jenen Politiker-Typus verkörpern, der so dringend gebraucht und von vielen Menschen ersehnt wird: aufrichtig, geradeaus, unabhängig. Dann muss er erste Entscheidungen treffen. Im Dickicht der Interessenkonflikte zerfließt die klare Meinung und es purzeln die ersten Kompromisse heraus, die nicht mehr ganz mit seinen eigenen Überzeugungen übereinstimmen. Noch nichts, was ihn verbiegt. Nur erste kleine Abweichungen von der eigenen Meinung, kleine Beugungen oder Halbwahrheiten, um andere zu überzeugen oder die öffentliche Meinung zu beeinflussen. Hier und da auch schon mal eine klitzekleine Lüge, denn es geht ja um ein höheres Ziel. Das ist der traurige Beginn einer typisch deutschen Politikerlaufbahn. Am Anfang tut das den meisten ein bisschen weh. Aber man gewöhnt sich dran. Muss man ja. Denn die Wahrheitsbeugungs-Übungen nehmen im Lauf der Amtszeit meistens zu. Von der Abstraktion ins wahre Leben: Berlins Regierender Bürgermeister Wowereit hat als Aufsichtsratsvorsitzender des Megaunternehmens Großflughafen versagt. Deshalb hat er seine Verantwortung abgeben müssen. Inzwischen ist der Posten wieder vakant, und weil sich offenkundig kein halbwegs geeigneter Fachmann findet, der bei diesem Pannen-Unternehmen noch die Aufsicht führen will, soll es Wowereit wieder machen. Absolut nachvollziehbar und ehrlich ist die Entscheidung des Platzeck-Nachfolgers Dietmar Woidke, kein Aufsichtsratsvorsitzender werden zu wollen. Er muss sich erst einmal in die Aufgaben eines Ministerpräsidenten hineinfinden - dort gibt es genug zu tun. Etwas nicht tun zu wollen, ist das eine. Aber daraus ergibt sich nicht notwendigerweise der Zwang, Wowereit eine "sehr gute Arbeit" für jene Zeit zu bescheinigen, wo er schon einmal Aufsicht führte. Das entspricht nämlich nicht der Wahrheit. Dennoch hat Woidke eben diese Worte gewählt. In dieser Überschwänglichkeit. Warum? Viele Antworten sind vorstellbar, aber eine kaum: Dass Woidke selbst daran glaubt, was er sagt. Vielleicht fühlte er sich gezwungen, Wowereit in den Himmel zu loben, weil er selbst keine Alternative sieht - und er selbst es ja auch nicht tun will. Vielleicht hat Woidke auch nur deshalb so formuliert, weil es sich im Politikbetrieb "so gehört". Wie auch immer: Diese kleine Äußerung, an die sich schon morgen kaum noch jemand erinnert, ist so ein kleiner Sündenfall. So eine Wahrheitsbeugung. Es sei denn, Ministerpräsident Woidke denkt tatsächlich so. Das aber wäre eine erschreckend falsche Einschätzung der Historie.
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