Berliner Morgenpost: Lieber weniger Steuern als mehr Rettungsschirme - Kommentar
Berlin (ots)
"Das ist wie Krebs." So erklärt Berlins Finanzsenator Thilo Sarrazin in seiner unnachahmlich direkten Art die derzeitige wirtschaftliche Lage. Und wenn die Existenz auf dem Spiel steht, dann helfen keine Salbeipastillen oder Kopfwehtabletten, sondern nur radikale Maßnahmen. Alles, was bislang an Regelwerk für einen halbwegs gesunden Haushalt galt, ist über Bord zu werfen, in vollem Bewusstsein, dass die Kollateralschäden immens sein werden. "Das ist wie Chemotherapie", sagt Sarrazin. Die Nebenwirkungen sind immens, gleichwohl zu ertragen, wenn es ums Überleben geht. In unglaublichem Tempo ist die globale Ökonomie in die Depression gerauscht. Geht es der Weltwirtschaft wirklich so dreckig wie es derzeit scheint - und nichts spricht dagegen - dann sind weder das 20-Milliarden-Konjunkturpaket der Bundesregierung noch das 130-Milliarden-Bündel der Europäer die adäquate Antwort. Auch der Rettungsschirm der Kanzlerin wird bald löchrig, wenn alle Branchen darunter drängen. Erst waren es Banken und Versicherungen, dann die Autobauer, nun kommen Chemie und Medienunternehmen. Man muss kein Hellseher sein, um zu ahnen, dass als nächstes der Maschinenbau krankt und schließlich der Handel. Es erwischt am Ende alle - außer die Baumärkte. Denn in der Krise repariert und renoviert Vati wieder selbst. Mit Staatsgarantien allein ist eine zu Tal schießende Ökonomie nicht zu bremsen. Aber was hilft wirklich? Ganz einfach: das Geld der Konsumenten in Umlauf bringen. Die Kfz-Steuer-Befreiung in einer Größenordnung von drei, vier Tankfüllungen ist lachhaft. Wer ausgerechnet in diesen Tagen zum Autokauf motiviert werden soll, braucht Steuererleichterungen in vierstelliger Höhe. Der Staat hat durchaus die Chance, den Abschwung abzumildern. Das Rezept: Steuern radikal nach unten und die Zinsen gleich mit, damit es keinen Grund zum Angstsparen gibt. Trotz der durchaus begründeten Controller-Logik der Kassenwarte ist es höchste Zeit, die öffentlichen Investitionen nach oben zu fahren, zugleich aber die Genehmigungsverfahren zu verkürzen: Es gibt genügend Straßen, Schulen, Bahnen, die einer sofortigen Renovierung bedürfen. Und es war ganz maßgeblich der Rückgang der Arbeitslosigkeit, der den öffentlichen Haushalten wieder mehr Spielräume gegeben hat. Diesen Erfolg kann man mit Geiz sehr schnell wieder verspielen. Ausgerechnet der als Sparsenator berüchtigte Sarrazin empfiehlt, den Konsum mit jährlich 25 statt 5 Milliarden anzuheizen. Die "Thilosophie" lautet: Wer arbeitet, wer baut, wer kauft, der verfällt nicht so leicht in Depression und schafft Werte, die die eingesetzten Mittel zumindest halbwegs wieder aufwiegen. Wer dagegen in der Schockstarre verharrt, der spart sich womöglich in Grund und Boden.
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