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Putins zynisches Kalkül - Leitartikel von Jörg Quoos

Berlin (ots)

Der völkerrechtswidrige Überfall Russlands auf die Ukraine hat schon viel Leid und Elend produziert. Man konnte sich nach den Massakern von Butscha und Irpin kaum vorstellen, dass die Übergriffe gegen die Bevölkerung noch brutaler werden. Doch es ist leider so gekommen.

Wladimir Putins gezielte Angriffe auf die Infrastruktur zeigen am Ende dieser Woche erschreckend Wirkung. Immer mehr Städte und Dörfer sind ohne Strom, Wasser, Heizung. Millionenmetropolen wie Kiew sind dunkel und kalt. Menschen stehen nachts frierend mit Kanistern an Zapfstellen Schlange, um Trinkwasser für ihre Familien zu holen.

Die russische Führung hat den Krieg nach den spektakulären militärischen Erfolgen der ukrainischen Armee nun noch mal eskaliert und zielt jetzt noch brutaler auf die Menschen. Russland weiß aus seiner langen Geschichte, dass der Winter ein Verbündeter sein kann, der gnadenlos tötet. Unzählige Soldaten - von Napoleons Truppen bis hin zur Wehrmacht - haben den Krieg gegen den harten Winter im Osten Europas mit dem Leben bezahlt.

Dass Putin die Eiseskälte jetzt gegen Zivilisten einsetzt, macht den Überfall auf die Ukraine endgültig zum Kriegsverbrechen. Frankreichs Premier Macron hat das zu Recht so benannt, jetzt müssen dringend Taten folgen. Die Menschen können ohne Wärme, Nahrung, Strom und Wasser nicht überleben.

Russland betreibt mit seiner Taktik der Zerstörung von Wasser- und Kraftwerken de facto die Auslöschung des ukrainischen Volkes auf ukrainischem Boden. Die Menschen sollen fliehen oder sterben - das ist Putins zynisches Ziel und er hofft, dass über diese humanitäre Katastrophe auch der ukrainische Präsident Selenskyj und seine Regierung stürzen.

Wladimir Putin sollte sich darin allerdings nicht zu sicher sein. Die ukrainische Armee hat bereits mit Löwenmut das bislang als unbesiegbar geltende Russland militärisch zur Verzweiflung gebracht. Keines der Kriegsziele wurde erreicht, und Putins Teilmobilisierung hat den Tod auch nach Russland gebracht. Tausende Eingezogene sind bereits als Kanonenfutter elendig gestorben.

Jetzt darf Russlands Präsident auch den Durchhaltewillen der Bevölkerung nicht unterschätzen. Die Ukrainer schöpfen Kraft aus ihrem moralischen und völkerrechtlichen Anspruch auf das eigene Land. Diese Legitimation verleiht Urkräfte, die Russlands Angreifern fehlen und die sie auch nie erlangen können, weil sie sich historisch ins Unrecht gesetzt haben.

Die Koalition gegen das aggressive Russland muss jetzt schnell auf die neue Taktik Russlands reagieren. Neben den Waffenlieferungen braucht das Land mobile Stromerzeuger, Wasseraufbereitungsanlagen und Notheizungen. Die Menschen wollen durchhalten und auch diese perfide Angriffswelle abwehren - aber sie brauchen materielle Unterstützung dabei.

Und auch die politische und moralische Unterstützung muss auf breiter Front weitergehen, Es war ein ausgesprochen kluger Schritt des Bundestages am Freitag, Josef Stalins Hungerkrieg gegen die Ukraine 1932/33 als "Völkermord" zu ächten.

Auch wenn zur Wahrheit gehört, dass damals viele Russen zu Tode kamen, ist die Parallelität offenkundig: Achtzig Jahre später sollen den Menschen in der Ukraine erneut die Lebensgrundlagen geraubt werden. Deshalb muss zu den Waffenlieferungen jetzt entschlossene Hilfe für die Menschen kommen. Sonst gibt es erneut große Fluchtbewegungen, und der Glaube an eine Zukunft in der Ukraine erodiert.

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