Westdeutsche Allgemeine Zeitung
WAZ: Kommentar von Gerd Niewerth: Weltmeisterlich werden
Essen (ots)
Auch nach dem Abpfiff des WM-Finales wird der Ball rund sein, und das Spiel neunzig Minuten dauern. Nur dieses kleine Land, von dem Franz Beckenbauer so charmant sprach, es wird nach diesem Fest der Ballzauberer ein anderes sein. Die WM wird den ganzen Planeten elektrisieren und die Menschen hierzulande in einen kollektiven La- Ola-Rausch versetzen. Vor allem für das Ruhrgebiet ist das Sportspektakel ein traumhafter Steilpass.
Bei der kläglichen Olympia-Bewerbung katapultierte sich das Ruhrgebiet mit peinlichen Eigentoren aus dem Rennen, und bis zum nicht unwahrscheinlichen Kulturhauptstadtspektakel 2010 wird noch viel Wasser durch die Ruhr fließen. Aber die WM ist hier und heute. Ab Montag suchen Heerscharen von Kamerateams aus aller Herren Länder im Ruhrgebiet nach Menschen und Geschichten. Der Regionalverband könnte tonnenweise Werbebroschüren drucken, trotzdem würden sie kein einziges TV-Team aus Ecuador und Costa Rica nach Wanne-Eickel zu bewegen vermögen.
Die WM schafft das spielend. Das touristisch weitgehend unentdeckte Ruhrgebiet hat die großartige Chance, aus dem Schatten von Berlin, München und Hamburg herauszutreten. Wer sich im WM-Stadion zwei Halbzeiten lang von den Ronaldinhos und Beckhams verzaubern lässt, der wird auch die Verlängerung im Ruhrgebiet auskosten. In der dritten Halbzeit: auf Zollverein und Zollern II/IV, im Gasometer und Centro. Mit lohnender Perspektive. Allein Dortmund beziffert den Werbewert der WM auf hundert Millionen Euro.
Gewiss, das Revier hat kein Brandenburger Tor, keinen Kölner Dom. Aber dieser Schmelztiegel hat einen offenen Menschenschlag hervorgebracht, in dem sich die Welt bei Freunden fühlen darf. Ein Fußball verrückter Menschenschlag, dem Sönke Wortmann im Wunder von Bern ein Denkmal gesetzt hat. Beste Voraussetzungen, Weltmeister der Herzen zu werden.
Den Steilpass verwandeln ist Aufgabe aller. In den nächsten 180 Tagen muss sich das ganze Ruhrgebiet fit machen für das Jahrhundertprojekt WM. Ins Trainingslager gehören alle: der Taxifahrer, der nun Bonjour und Arivederci büffeln muss, ebenso wie der Wirtschaftsförderer, der japanische Unternehmer in die Stadionloge locken muss. Wo Weltmeisterschaft ist, muss man selbst weltmeisterlich sein.
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