Westdeutsche Allgemeine Zeitung
WAZ: Heftiger Streit in der Koalition: Die Gesundheit wird zur Nebensache - Kommentar von Christina Wandt
Essen (ots)
Das Wort Gesundheitsreform löst bei den meisten Menschen nur noch Verdruss aus, was bedauerlich ist - und wenig überraschend.
Zuletzt nämlich musste man den Eindruck gewinnen, bei diesem Vorhaben gehe es vorrangig um die politische Zukunft von Ulla Schmidt, dann um den Machterhalt der Kanzlerin sowie um das Gesellenstück des neuen SPD-Chefs Kurt Beck. Alle Drei einte der Wille, die Reform notfalls mit Gewalt als Beweismittel für die Regierungsfähigkeit der Großen Koalition herzurichten. Das war umso schwerer, als es neben den Ansätzen von SPD und CDU auch die Ansichten eines Edmund Stoiber zu berücksichtigen galt. Am Ende einer langen Nacht aber wollten uns die genannten Politiker glauben machen, das Jahrhundertwerk sei vollbracht, oder zumindest auf dem Weg.
Dieser Weg wurde von Anfang an vom Grummeln Stoibers begleitet, der nun offen droht, Bayern könnte die Reform ablehnen. CSU-Generalsekretär Markus Söder bezeichnete die Vorschläge von Ulla Schmidt als "totale Bankrotterklärung", worauf SPD-Generalsekretär Hubertus Heil der CSU zurief, sie müsse sich mal entscheiden, ob sie regieren oder rumpöbeln wolle. Und während nun auch Hessen und Baden-Württemberg ihren Unmut artikulieren, verkündet Angela Merkel ungerührt, sie wolle gemeinsam mit den Ländern "zielgerichtet und besonnen" vorgehen. Bitte? Die Saalschlacht ist in vollem Gange, und die Kanzlerin ruft "Vertragt Euch, Kinder!"
Wir wollen gern an ein Weihnachtswunder glauben, doch so einfach wird es wohl nicht laufen. Denn es geht bei der Gesundheitsreform eben nicht zuvörderst um den Erhalt der Großen Koalition, es geht um den Umbau eines sozialen Sicherungssystems, das für alle Bürger existenzielle Bedeutung hat. Es geht darum, ob jeder Versicherte die beste Therapie erhält, ob Zahnersatz ein Luxusgut wird, ob gar der Geldbeutel über Leben und Tod entscheidet. Niemand kann sich wünschen, dass solche Fragen von übermüdeten Politikern in Nachtsitzungen beantwortet werden oder dass bei ihrer Beantwortung das politische Überleben einer Ministerin eine wichtigere Rolle spielt als das Überleben schwerkranker Patienten. Es wird also nicht mit ein paar Reparaturarbeiten am Gesetzestext und einem anschließenden Fototermin der versöhnten Streithähne getan sein. Man wird den Bürgern sehr genau erklären müssen, warum sie diesem Gesetzeswerk noch vertrauen sollen. Fehlen dafür die Argumente, muss man wohl einen neuen Anlauf für eine überzeugende Reform wagen.
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