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Mittelbayerische Zeitung

Ein Leben im Ausnahmezustand
Am Lockdown trägt nicht nur das junge Partyvolk Schuld, das sich naturgemäß für unsterblich hält. Es gibt weitere Pandemietreiber. Leitartikel von Christine Schröpf

Regensburg (ots)

Die Corona-Pandemie ähnelt einem Seriencrash, der unaufhörlich weitergeht. Kaum hat man sich irgendwie mit der Gesamtlage arrangiert, kracht es wieder und wieder. Das Virus hat uns in den Dauer-Ausnahmezustand versetzt. Der zweite harte Lockdown vertieft die Spaltung im Land. Zwar begrüßt eine Mehrheit strenge Corona-Maßnahmen, doch an die 40 Prozent sehen das anders. Das sollte allen ernste Sorge bereiten. Dabei sprechen die Zahlen klar für die Notbremsung: 500 bis 600 weitere Tote pro Tag hätten bis Weihnachten den Verlust von 5000 bis 6000 Menschenleben bedeutet. 30 000 Neuinfektionen pro Tag hätten sich auf 300 000 summiert - die Eigendynamik eines exponentiellen Wachstums noch nicht einkalkuliert.Der Chamer Landrat Franz Löffler hat das Virus kürzlich treffend als "hinterlistig" bezeichnet. Denn Corona befällt Sorglose wie Vorsichtige. Die Pandemie ist darüber hinaus aber auch deshalb mit aller Naturgewalt zurück, weil das Virus großen Spielraum bekommen hat. Es gab erstens zu viele, die die Corona-Regeln für sich zurechtgebogen haben: Gemeint ist nicht allein das junge Partyvolk, das sich altersgemäß für nahezu unsterblich hält. Es umfasst vielmehr alle gesellschaftlichen Bereiche bis hinein in die bayerische Regierung: Soeben wurden CSU-Ministerin Kerstin Schreyer und ihr Kabinettskollege Bernd Sibler mit drei CSU-Abgeordneten nah beieinander am Essenstisch gesichtet - alle Vorschriften ignorierend. Es gibt derzeit quer durchs Land ähnliche Momentaufnahmen. Und selbst wenn es sich immer um Menschen handeln würde, die 23 von 24 Stunden am Tag achtsam sind: In der Summe beschleunigt es die Corona-Ausbreitung.Die inzwischen überall hohen Infiziertenzahlen sind ein zweiter zentraler Risikofaktor. Denn damit wächst die Wahrscheinlichkeit, unwissentlich auf einen Infizierten zu treffen, sich selbst anzustecken und das Virus ungewollt weiterzugeben. Dritter wichtiger Punkt: Trotz aller Hygienekonzepte wütet das Virus weiter in Alten- und Pflegeheimen. Es würde die Todeszahlen deutlich drücken, wenn Sicherheitsmechanismen endlich überall verlässlich greifen. Diese Aufgabe muss für Gesundheitsministerin Melanie Huml und die Oberbürgermeister und Landräte vor Ort höchste Priorität haben. Die Einrichtungen selbst sind inzwischen so überlastet, dass sie nicht nebenbei noch permanent Tests für Patienten, Personal und Besucher stemmen können. Eine externe Eingreiftruppe muss her, die Engpässe im Zweifel sofort überbrückt.2020 liefert harte Lehren. Wir müssen Ungewissheit aushalten, ob es uns passt oder nicht. Unser Alltags-Vokabular hat sich um Virenlast, mRNA-Impfstoff oder "vulnerabel" erweitert. Wir wissen nun genau, dass sich Unglück in Pandemiezeiten in den unterschiedlichsten Stufen der Grausamkeit zeigt und dass diejenigen, die am lautesten schreien, nicht immer die sein müssen, die tatsächlich am schwersten Betroffenen sind. Das Hadern um den heuer wohl ziemlich einsamen Heiligen Abend ist dafür ein passendes Beispiel. Wer wegen Covid 19 einen Angehörigen verloren hat, würde gerne jede Einschränkungen hinnehmen, wenn sich im Gegenzug die Zeit zurückdrehen ließe und die Familie wieder komplett wäre. Auch Weihnachten auf Intensivstationen, ob als Patient, Arzt oder Krankenschwester, ist deutlich härter als das Fest daheim im kleinen Kreis.Die Hoffnung ruht auf 2021. Wenn es gut läuft, hält der Biontech-Impfstoff was er verspricht. Mit etwas Glück ist die Impfbereitschaft groß und es kehrt Stück für Stück normales Leben zurück. Gute Corona-Nachrichten in Serie wären schön. Sie sind nur in gewünschter Dichte selbst im besten Szenario nicht so schnell zu erwarten.

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