CDU/CSU-Bundestagsfraktion
Rühe: Position der Mittelmeerländer zur
EU-Osterweiterung nicht akzeptabel
Teil 2 von 2
Berlin (ots)
IV. Meine Damen und Herren, nicht jedes Land in Europa, das eine europäische Perspektive sucht, kann EU-Vollmitglied werden. Doch es muss vermieden werden, dass dadurch in Europa neue Gräben entstehen und somit der Gewinn an Sicherheit und Stabilität geschmälert wird, der sich durch die EU-Erweiterung für ganz Europa ergibt. Deshalb sollten diesen Staaten Möglichkeiten abgestufter Integration bzw. institutionalisierter Kooperation angeboten werden.
Aus meiner Sicht gibt es dafür verschiedene Möglichkeiten: - So wäre eine engere Anbindung an einzelne Politikbereiche der EU - wie beispielsweise die gemeinsame Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik oder die Verkehrs- und Energiepolitik möglich.
- Weitere Möglichkeiten sind Assoziierungen oder die Schaffung eines neuen Europäischen Wirtschaftsraumes, der eng mit der EU und ihrem Binnenmarkt verbunden ist.
- Weiterhin sollten zur Förderung der direkten Nachbarschaft zwischen EU-Staaten und denjenigen Ländern, die nicht oder vorerst nicht der Europäischen Union angehören werden, differenzierte Strategien der kontrollierten Durchlässigkeit entwickelt werden.
So sollte die Ausstellung von Visa und Einreiseformalitäten -insbesondere für Angehörige von Minderheiten zur Einreise in das jeweilige Mutterland - so einfach und kostengünstig wie möglich gestaltet werden. Dies betrifft beispielsweise die Beziehungen Ungarns zur Ukraine, aber auch zu Rumänien, bis dieses Land in der Lage ist, der EU beizutreten. Es betrifft auch Kaliningrad, wenn Litauen EU-Mitglied sein wird. Weiterhin sollte für eine kontrollierte Durchlässigkeit der künftigen EU-Außengrenzen der Auf- und Ausbau von leistungsfähigen, den EU-Standards entsprechenden Grenzübergängen und Konsularabteilungen mit Hilfe von EU-Fördergeldern forciert werden.
Die Einrichtung von Euregios über die künftigen EU-Grenzen hinweg könnte die grenzüberschreitende wirtschaftliche Zusammenarbeit ebenso verbessern wie die Einrichtung von Wirtschaftssonderzonen und Meistbegünstigungsklauseln für Regionen angrenzender Nicht-EU-Staaten.
Schließlich könnte zur Förderung der direkten Nachbarschaft den auf der äußeren Seite der künftigen Unionsgrenze gelegenen Regionen ermöglicht werden, ihre Vertreter in den EU-Ausschuss der Regionen zu entsenden.
Meine Damen und Herren, erlauben Sie mir abschließend noch einige Bemerkungen zu den Möglichkeiten, wie wir die Beziehungen zwischen der EU und denjenigen Staaten enger gestalten können, die nicht oder absehbar nicht in die Europäische Union aufgenommen werden können, wo es aber in unserem Interesse liegt, einen Beitrag zur Stabilisierung sowie zur Förderung von Demokratie und Marktwirtschaft zu leisten. Ich meine die Türkei, Russland, die Ukraine und Weißrussland.
Der Türkei wurde insbesondere auf Drängen der Bundesregierung im Dezember 1999 der Beitrittskandidatenstatus verliehen. Sowohl der letzte EU-Fortschrittsbericht, als auch die jüngsten Entwicklungen haben jedoch unsere Befürchtungen bestätigt, dass diese Entscheidung zumindest verfrüht war.
Denn es wird immer offensichtlicher, dass die mit diesem Status auf türkischer Seite verbundenen hohen Erwartungen so schnell nicht erfüllt werden. Und wenn stattdessen der Türkei über Jahre hinweg in den Fortschrittsberichten bescheinigt wird, dass sie nicht einmal verhandlungsreif ist, dann, so ist zu befürchten, wird es zu einer erneuten Entfremdung zwischen ihr und Europa kommen.
Aber es muss doch unser strategisches Ziel sein, die Türkei in ihrer europäischen Orientierung zu stärken und sie enger mit der EU zu verbinden.
Und deshalb halten wir es für falsch, dass die Bundesregierung den türkischen Wunsch nach Mitwirkung an den Entscheidungsverfahren der ESVP ablehnt. Das ist von der Sache her falsch, weil sich die Mehrzahl potenzieller ESVP-Einsatzszenarien ohnehin in geographischer Nähe der Türkei befindet. Und es ist politisch falsch, weil wir damit die Chance verbauen, die Türkei enger mit der EU zu verbinden, indem wir sie in die Sicherheits- und Verteidigungspolitik einbeziehen. Konkret sollte deshalb der Türkei der Status eines assoziierten Mitgliedes der ESVP angeboten werden. Durch diese Form der abgestuften Integration würde sie in die ESVP-Entscheidungsverfahren einbezogen werden.
Meine Damen und Herren, die Osterweiterung der Europäischen Union berührt auch unmittelbar die Zusammenarbeit mit Russland. Für ein Europa ohne Trennlinien sollten wir zu Russland ein Partnerschaftsverhältnis schaffen, das seiner Größe, seiner Stellung in Europa und seinem Selbstverständnis Rechnung trägt. Deshalb unterstützen wir alle Bemühungen, die die Voraussetzungen dafür schaffen, dass die Beziehungen der EU mit Russland über das Partnerschaftsabkommen hinaus im Rahmen einer Freihandelszone vertieft werden können.
Allerdings belastet die zunehmende Einschränkung der demokratischen Grundfreiheiten die Zusammenarbeit mit der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten und schadet der politischen und wirtschaftlichen Entwicklung Russlands. Ein starker russischer Staat kann am ehesten durch die Förderung der Demokratie, durch die Verbesserung des Rechtsrahmens für eine freie Entfaltung der Menschen und ihrer Wirtschaft sowie durch eine funktionierende Verwaltung geschaffen werden. Dafür sollte die Europäische Union ihre Erfahrungen und ihre politische und finanzielle Unterstützung anbieten.
Die EU-Osterweiterung wird Russland neue Chancen eröffnen: der Außenschutz der Europäischen Union gegenüber Russland ist im Handelsbereich in der Regel geringer, als er gegenwärtig bei den Beitrittsländern gegenüber Russland ist. Deshalb würde Russland nach der Erweiterung einen erleichterten Zugang zu den Märkten der erweiterten Union erhalten. Gleichzeitig begünstigt die Übernahme und Umsetzung von EU-Normen in den Beitrittsländern die Handels- und Investitionstätigkeit russischer Unternehmen. Und dort, wo Russlands Normen, Standards und Zertifizierungen nicht mit denen der EU übereinstimmen, muss Russland sie anpassen, um wettbewerbsfähiger zu werden, wozu es sich bereit erklärt hat.
Die Nutzung der wirtschaftlichen Chancen der Erweiterung hängt allerdings mehr noch ab von wirtschaftlichen Reformen in Russland sowie von der Wettbewerbsfähigkeit russischer Produkte. Notwendig sind deshalb noch erhebliche Strukturreformen, die übrigens auch wesentliche Voraussetzungen dafür sind, dass die von der EU angebotene Perspektive verwirklicht werden kann, mit Russland nach seinem Beitritt zur WTO ein Freihandelsabkommen abzuschließen. Allerdings wird Russland bis zur Errichtung einer solchen Freihandelszone noch erhebliche wirtschaftliche Fortschritte machen müssen, damit die Marktöffnung nicht zu einem für Russland ruinösen Wettbewerb mit dem Ausland führt.
Was Kaliningrad betrifft, so haben wir ein Interesse daran, dass sich durch den Beitritt Polens und Litauens zur EU das Wachstumsgefälle zwischen dieser Region und seinen Nachbarn nicht noch weiter verschärft und nicht eine in den Ostseeraum und Mitteleuropa destabilisierend hineinwirkende Armuts- und Kriminalitätsenklave entsteht. Deshalb muss die grenzüberschreitende Zusammenarbeit mit dieser Region und ihre wirtschaftliche Förderung so verstärkt werden, dass sie Anschluss an die dynamische Entwicklung im Ostseeraum finden kann.
Die Schlüssel für die Lösung der Probleme liegen in erster Linie in Moskau und in Kaliningrad selbst. Die EU sollte unter Einhaltung der Schengen-Bestimmungen praktische Fragen des Waren- und Personenverkehrs zwischen Kaliningrad und dem russischen Mutterland so reibungslos und kostengünstig wie möglich lösen. Durch den Ausbau der wirtschaftlichen Kooperation mit Polen und Litauen, die dem Ziel einer Integration in regionale Wirtschaftsstrukturen dienen sollte, könnte das Investitionsklima Kaliningrads verbessert werden. Dafür könnte Kaliningrad der Status einer Förderregion mit oberster Priorität eingeräumt werden. Eine Stabilisierung dieser Region durch internationale Kooperation, Investitionen und Innovationen würde im übrigen auch zur Förderung der russischen Wirtschaft beitragen.
Was die Ukraine betrifft, so haben wir ein Interesse an einer unabhängigen, starken, auf die EU orientierten Ukraine. Deshalb könnte ihr, wenn das Partnerschaftsabkommen mit der EU zum Erfolg geführt hat, eine engere Zusammenarbeit in der gemeinsamen Außen-, Sicherheits-, und Verteidigungspolitik sowie über das vorgesehene Freihandelsabkommen hinaus eine Mitgliedschaft in einem neuen Europäischen Wirtschaftsraum in Aussicht gestellt werden.
Voraussetzung für eine derartige Entwicklung ist, dass in der Ukraine der innere Wandel hin zu einer stabilen Demokratie und zu einer wettbewerbsfähigen Marktwirtschaft voran gebracht wird und einen erfolgreichen Verlauf nimmt. Dabei sollten die in den Partnerschafts- und Kooperationsabkommen und in der gemeinsamen Strategie enthaltenen Möglichkeiten der Zusammenarbeit und Unterstützung gezielt genutzt werden.
Und zur Vermeidung neuer Trennlinien, die durch die EU-Mitgliedschaft Polens und anderer mitteleuropäischer Staaten entstehen können, könnte die EU die positiven Erfahrungen aus der Ostsee-Zusammenarbeit im Rahmen der "Nördlichen Dimension" auf Mitteleuropa übertragen und analog eine Politik der "Mittelosteuropäischen Dimension" auflegen, in deren Rahmen neben Polen und der Ukraine auch die Slowakei, Ungarn, Rumänien, Moldawien und Weißrussland zusammenarbeiten könnten.
Schließlich zu Weißrussland: Um das strategische Vakuum, das sich durch die weitgehende internationale Isolierung dieses Landes infolge der Lukaschenko-Diktatur ergeben hat, überwinden zu können, muss jede Chance zur Demokratisierung und Europäisierung genutzt werden. Hierfür könnte sich die EU an ihre erfolgreiche Unterstützung der serbischen Opposition während des Milosevic-Regimes anlehnen.
Zur Stärkung der weißrussischen Zivilgesellschaft sollte die Zusammenarbeit mit Nicht-Regierungsorganisationen sowie mit unabhängigen bzw. oppositionellen Einrichtungen und Persönlichkeiten ausgebaut und stärker gefördert werden. Die derzeit existierende technische Vertretung der EU könnte dafür zu einer vollständigen EU-Delegation erweitert werden, die Präsenz von westlichen Beratern sollte nicht nur fortgeführt, sondern ausgebaut werden.
V. Meine Damen und Herren, lassen Sie mich abschließend zusammenfassen: Es geht jetzt nicht um eine weitere Erweiterung, sondern es geht um die endgültige Überwindung der stalinschen Teilung Europas und damit wird ein Miteinander und eine Integration der europäischen Staaten entstehen, wie das nie zuvor in der Geschichte der Fall war.
Deutschland hat daran ein besonderes Interesse, weil die großartigen politischen und vor allem wirtschaftlichen Chancen gerade unserem Land zugute kommen. Darüber müssen wir viel mehr sprechen, um unsere Bürger mehrheitlich für den Erweiterungsprozess zu gewinnen.
Die mit der Erweiterung einhergehenden Herausforderungen können bewältigt werden. Und man sollte sich immer im Klaren sein, dass die Kosten einer verzögerten Erweiterung oder gar einer Nicht-Erweiterung höher sein werden als die Kosten der Erweiterung.
Wir brauchen eine zügige, aber realistische Erweiterung. Das heißt, dass wir die EU jetzt so erweitern müssen, dass wir sie dann auch noch weiter vertiefen können. Deshalb müssen die Verhandlungen Ende 2002 mit denjenigen Staaten abgeschlossen werden, die bis dahin die Voraussetzungen erfüllen.
Damit der Gewinn an Sicherheit und Stabilität, der sich für ganz Europa durch die Erweiterung ergibt, nicht geschmälert wird oder gar neue Gräben entstehen, müssen wir schrittweise mit denjenigen Staaten, die nicht oder absehbar nicht EU-Mitglied werden können, in neue Formen institutionalisierter Zusammenarbeit bzw. abgestufter Integration eintreten.
Wenn wir unseren Bürgern so immer wieder die Chancen und Möglichkeiten der Osterweiterung darstellen und verständlich machen, dann bin ich überzeugt davon, dass die Zustimmung zur Erweiterung deutlich wachsen wird und viele Ängste und Sorgen ausgeräumt werden können.
Ende
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