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Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche (wiiw)

Studie: EU sollte Westbalkan endlich ernst nehmen

Wien (ots)

EU braucht neue Strategie; höhere Einkommen als Schlüssel, mehr EU-Transfers bester Hebel; Zugang zum EU-Budget wäre Game-Changer; Russland könnte Region destabilisieren

Der heutige EU-Westbalkan-Gipfel in Brüssel steht ganz im Schatten des Ukraine-Krieges. So richtig es ist, der Ukraine den Status eines EU-Beitrittskandidaten zu gewähren, so wenig darf der Westbalkan vergessen werden. In diesem Fall drohen noch mehr Frustration und EU-Skepsis in Albanien, Bosnien-Herzegowina, Kosovo, Montenegro, Nordmazedonien und Serbien.

„So wie bisher kann es nicht weitergehen“, konstatiert Branimir Jovanovic, Hauptautor einer neuen Studie zum Thema. „Die bisherige EU-Politik hat die regionale wirtschaftliche Integration nicht vorangebracht, zu geringen Fortschritten in Richtung EU-Beitritt geführt, den wirtschaftlichen Aufholprozess kaum befördert und große Enttäuschung in der Region verursacht“, so Jovanovic.

Eine Studie des Wiener Instituts für Internationale Wirtschaftsvergleiche (wiiw) und der Bertelsmann Stiftung hat sich daher angesehen, wie eine neue EU-Strategie für den Westbalkan aussehen sollte und welche Lehren dabei aus den Erweiterungsrunden um die ostmitteleuropäischen EU-Staaten (EU-CEE) gezogen werden können.

Mehr Wohlstand essentiell für regionale Integration

Fazit: Der EU-Beitritt der ostmitteleuropäischen Länder hat den Handel mit Waren und Dienstleistungen zwischen diesen um 50% erhöht. Hauptgrund dafür waren enorme Wohlstandsgewinne in den Jahren nach dem EU-Beitritt. So stieg etwa das BIP pro Kopf gemessen in Kaufkraftparitäten in den vier Visegrád-Ländern Tschechien (29%), Ungarn (19%), Polen (32%) und der Slowakei (44%) in den Jahren 2004 bis 2007 massiv – ebenso wie in den anderen Ländern der EU-CEE-Region.

Die gestiegenen Einkommen führten zu einer steigenden Nachfrage nach Produkten aus der Region und damit auch zu einem steigenden Angebot und intensivierten so ihre ökonomische Integration. Die Transfers aus dem EU-Budget in diese Länder erwiesen sich dabei als treibende Kraft bei der Anhebung des Wohlstandsniveaus. Eine Verdoppelung der jährlichen EU-Mittel von 1% auf 2% des BIP führte in den EU-CEE-Staaten durchschnittlich zu einem Anstieg des BIP um nicht weniger als 14%. Dazu kamen höhere Staatsausgaben, höhere ausländische Direktinvestitionen, größere politische Stabilität und bessere Institutionen, die die Wirtschaftsleistung ebenfalls erhöhten und zu einem guten Teil auf den EU-Beitritt dieser Länder zurückzuführen waren.

Zugang zum EU-Budget als Game-Changer

„Die Implikationen dieser Ergebnisse für den Westbalkan liegen auf der Hand“, sagt Branimir Jovanovic: „Der beste Weg zu einer Verbesserung der regionalen Zusammenarbeit in der Region ist eine Politik, die auf die Erhöhung der Einkommen abzielt. Der effektivste Weg für die EU, das zu erreichen, wären höhere Transfers aus dem EU-Budget an diese Staaten.“

Die Studie plädiert daher für einen vollen und direkten Zugang der Westbalkanstaaten zum EU-Budget, noch vor einer EU-Mitgliedschaft. Höhere Transfers sollten an strikte Bedingungen für institutionelle Reformen geknüpft werden. Nur mit besseren Institutionen und besserer Regierungsführung können zusätzliche Mittel auch absorbiert werden. „Die Kosten für die bestehenden EU-Mitglieder wären mit 0,05% des BIP pro Land vernachlässigbar, der Nutzen aber riesig“, rechnet Jovanovic vor.

Gegenüber den Mittelzuflüssen aus dem Corona-Wiederaufbaufonds NextGenerationEU in die ostmitteleuropäischen EU-Mitglieder nimmt sich der letzten Herbst präsentierte Wirtschafts- und Investitionsplan der EU für den Westbalkan geradezu mickrig aus. Die darin vorgesehen 9 Milliarden Euro pro Jahr machen lediglich 1% des gesamten BIP der Region aus. Die EU-Mitglieder in Ostmitteleuropa werden dagegen jährlich Gelder im Umfang von 3-5% ihres BIP aus dem Corona-Wiederaufbaufonds erhalten. „Damit besteht die Gefahr, dass die Länder am Westbalkan wirtschaftlich noch weiter zurückfallen“, fürchtet Jovanovic. Umso mehr plädieren er und die Co-Autor*innen der Studie für ihren vollen Zugang zum EU-Budget, wenn auch unter strengen Reformauflagen.

Destabilisierung durch Russland wahrscheinlich, falls EU Strategie nicht ändert

Ein solcher Integrationsschritt vor einer Vollmitgliedschaft sollte die EU-Beitrittsperspektive für den Westbalkan aber keinesfalls ersetzen oder unterminieren. Im Gegenteil. Die Aufnahme von Albanien, Bosnien-Herzegowina, Kosovo, Montenegro, Nordmazedonien und Serbien in die Europäische Union muss oberste Priorität bekommen. „Ansonsten ist die Gefahr groß, dass die Frustration in diesen Ländern noch mehr wächst und den Einflussversuchen Russlands Tür und Tor geöffnet werden“, meint Jovanovic. „Der Ukraine-Krieg hat uns gezeigt, wohin das führt. Die Gefahr besteht, dass Wladimir Putins Großmachtfantasien auch den Westbalkan neuerlich in ein Pulverfass verwandeln, wenn wir ihn nicht endlich fest in Europa verankern.“

Die Studie "The long way round: Lessons from EU-CEE for improving integration and development in the Western Balkans" wurde vom Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche (wiiw) und der Bertelsmann Stiftung erarbeitet.

Pressekontakt:

Andreas Knapp
Communications Manager
Tel. +43 680 13 42 785
knapp@wiiw.ac.at

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