ver.di Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft
Jahrespressekonferenz: Die Gesellschaft braucht einen gut funktionierenden öffentlichen Dienst: Mehr Geld, mehr Beschäftigte, weniger Arbeitsdruck
Die Gesellschaft braucht einen gut funktionierenden öffentlichen Dienst: Mehr Geld, mehr Beschäftigte, weniger Arbeitsdruck
„Eine funktionierende Demokratie und gesellschaftliches Zusammenleben sind eng mit einem gut arbeitenden öffentlichen Dienst verbunden. Auch die Wirtschaft eines Landes ist davon abhängig, dass das System des öffentlichen Dienstes funktioniert, denn es ist die Grundlage für die Daseinsvorsorge“, betont die stellvertretende Vorsitzende der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) Christine Behle.
„Damit der öffentliche Dienst seine Aufgaben wahrnehmen kann, wird ausreichend qualifiziertes Personal zum Beispiel in Kitas, in der Sozialen Arbeit, bei der Feuerwehr, in der Verwaltung, wie etwa Jobcentern oder Ausländerämtern benötigt. Nur durch eine gute Personalausstattung können die gesellschaftlichen Herausforderungen und die aktuellen Krisen bewältigt werden.“ Bereits in den vergangenen Jahren sei es der öffentlichen Hand immer schwerer gefallen, geeigneten Nachwuchs zu gewinnen. Ein großes Problem sei der demographische Wandel und die Tatsache, dass aktuell sehr viele Beschäftigte altersbedingt aus dem aktiven Dienst ausscheiden. Bundesweit sind aktuell im öffentlichen Dienst über 300.000 Stellen unbesetzt. In den nächsten zehn Jahren müssen 1,4 Millionen Stellen neu besetzt werden. Daher sind große Anstrengungen und Investitionen notwendig, um Personal gewinnen zu können.
Daneben sind in den Jahren bis 2010 enorm Stellen im öffentlichen Dienst eingespart worden, ohne an die Auswirkungen zu denken. „Die unbesetzten Stellen und der nicht korrigierte Stellenabbau haben in vielen Bereichen des öffentlichen Dienstes zu einer enormen Arbeitsverdichtung geführt. Schlechte Arbeitsbedingungen, unzureichende Arbeitsplatzausstattung, mangelhafte Organisation und vergleichsweise geringe Bezahlung prägen aktuell das Image des öffentlichen Dienstes und erschweren die Personalgewinnung“, so Behle.
Behle wies darauf hin, dass allein bei der Berufsfeuerwehr in den Kommunen rund 5.000 Stellen – das ist etwa jede siebte Stelle – nicht besetzt sei. Die Gewalttätigkeiten in der Silvesternacht gegen Feuerwehrleute hätten gezeigt, dass sich die Beschäftigten nicht nur ihren beruflichen Anforderungen - die durch immer weniger Personal immer höher werden würden – stellen müssten, sondern sie wären zusätzlich einer bislang nicht gekannten Gewalt ausgesetzt. Die Silvesternacht mit ihren verstörenden Bildern zeigt ein Teil des Problems. Auch Beschäftigte in vielen andern Bereichen des öffentlichen Dienstes, etwa in Sozial- und Jugendämtern, in Kitas, bei der Müllabfuhr oder im ÖPNV sehen sich einer zunehmenden Gewalt ausgesetzt, die sich durch Pöbeleien, Beleidigungen und nicht selten auch durch Handgreiflichkeiten bemerkbar macht. Hier müsse durch wirksame Maßnahmen dringend gegengesteuert werden. „Den Beschäftigten im öffentlichen Dienst muss mit mehr Respekt und Wertschätzung begegnet werden, daneben müssen die Aufgaben und Probleme unserer Gesellschaft klar benannt und mit wirksamen Mitteln bekämpft werden. Dazu gehört vor allem, dass mehr in soziale und pädagogische Bereiche investiert wird“, betont die ver.di-Vize.
In den Kitas und Jugendämtern könne jedoch zurzeit die Betreuung nur noch aufrechterhalten werden, indem die Beschäftigten ständig über ihre eigenen Grenzen gehen und die personelle Not durch individuelles Engagement ausgleichen würden. Viele Beschäftigte in der Sozialen Arbeit wären stark überlastet, Bildung sei in Kitas nicht mehr möglich. Die sich verschlechternden Arbeitsbedingungen und der eklatante Personalmangel in der gesamten Sozialen Arbeit - alleine in Kitas hätten bereits 2021 rund 173.000 Fachkräfte gefehlt - zeigen sich in einer hohen Personalfluktuation. Die Folge seien wiederum Fachkräftemangel und steigender Arbeitsdruck.
Auch die Jobcenter seien weder personell noch in Bezug auf die Eingliederungsmittel adäquat ausgestattet, um etwa die Ukraineflüchtlinge entsprechend zu unterstützen oder die steigende Anzahl von Anträgen zu bewältigen. Durch Preissteigerungen, insbesondere bei den Heizkosten und das neue Bürgergeld sei die Anzahl der Anträge nahezu „explodiert“. Schon in der Pandemiezeit seien Antragszahlen zeitweise um das 5-fache erhöht worden. „Obwohl uns die gesellschaftliche Relevanz der Sozialen Arbeit ständig vor Augen geführt wird, wie zum Beispiel in der Silvesternacht in Berlin, der wachsenden Obdachlosigkeit oder der Zunahme psychischer Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen, scheinen die Arbeitgeber immer noch keinen Handlungsbedarf zu sehen. Sie sind gefragt, die Arbeits- und Einkommenssituation der Beschäftigten im gesamten Öffentlichen Dienst deutlich zu verbessern“, fordert Behle. Dazu gehöre eine deutlich bessere Bezahlung, die Förderung von Nachwuchskräften, die Einstellung und das Halten von Fachkräften – durch eine höhere Attraktivität des Öffentlichen Dienstes.
„Wir brauchen zudem ausfinanzierte öffentliche Dienstleistungen. Ein 49-Euro-Ticket, das viele nicht nutzen können, weil der ÖPNV ausgedünnt ist, hilft da nicht. Überall dort, wo es schlechte Verkehrsanbindungen durch eine fehlende Infrastruktur gibt, nützt den Menschen ein verbilligtes Ticket gar nichts. Neben bezahlbaren Fahrpreisen brauchen wir daher eine Mobilitätswende“, so ver.di-Vize Behle. Dazu würden Investitionen in das Personal und den Ausbau des ÖPNV in Höhe von 120 Mrd. Euro in den kommenden zehn Jahren gehören. Bis 2030 würden zudem etwa 180.000 Beschäftigte im ÖPNV fehlen. Hier müsse schnellstens neues Personal gewonnen werden.
„Überall im öffentlichen Dienst fehlen Beschäftigte. - Mehr Geld, mehr Beschäftigte, weniger Arbeitsdruck, - das alles kann den stark gebeutelten öffentlichen Dienst wieder attraktiver machen und diese Stütze der Gesellschaft sichern“, betont die Gewerkschafterin.
V.i.S.d.P.
Martina Sönnichsen ver.di-Bundesvorstand Paula-Thiede-Ufer 10 10179 Berlin Tel.: 030/6956-1011, -1012 E-Mail: pressestelle@verdi.de www.verdi.de/presse