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WAZ: Sport, Medien, Moral Der Zuschauer entscheidet - Leitartikel von Thomas Kloß

Essen (ots)

Wären wir auf dem Zeitstrahl Anfang der 80er Jahre
steckengeblieben, als es die Privaten noch nicht gab und ARD und ZDF 
auf dem TV-Markt als Alleinherrscher regierten, hätte die 
Macht-Demonstration gelingen können: Der Bildschirm-Boykott der Tour 
de France hätte existenzbedrohende Folgen für den Profisport 
Radfahren in Deutschland annehmen können: Ohne Übertragung keine 
Sponsoren und damit kein Geld. Die Radler wären gezwungen gewesen, zu
emigrieren oder im Selbstreinigungsprozess ihr dopingverseuchtes 
Umfeld zu säubern. Und die Öffentlich-Rechtlichen hätten mit Glanz 
auf den Wangen dagestanden: als moralische Instanz.
Willkommen im Heute. Seit gestern 15 Uhr wissen ARD und ZDF: Ihre
Mühe war umsonst. Der Versuch, den Zeigefinger in den Wind zu halten,
ein Zeichen gegen das Dopen zu setzen, ist kläglich gescheitert. 
Sat.1 übernimmt die Übertragung der Rundfahrt und sichert die 
Vermarktung des Produktes Radsport auf dem nicht unbedeutenden 
deutschen Markt. Der Kommerz, er fährt in der Ausreißergruppe 
vornweg.
ARD und ZDF haben wieder nicht das richtige Maß gefunden. Lange 
ist es nicht her, da machten sich die Sender gemein mit den 
Radsportlern. Da prangte die ARD-Eins auf den Trikots der Fahrer des 
Teams Telekom, und da wurde vor allem das Thema Doping so gut wie 
möglich heruntergespielt. Für diese Art der einschmeichlerischen 
Verschleierung wurde der Sender mit Recht medial unter Beschuss 
genommen. Mit dem Boykott wollten die Öffentlichen ihre 
Glaubwürdigkeit zurückgewinnen. Und befinden sich doch wieder in der 
Sackgasse.
Denn wenn ARD und ZDF die Ausstiegs-Entscheidung als moralischen 
Akt sehen, wird es heuchlerisch. Dann dürfen die Sender nicht mehr 
über die häufig unter Dopingverdacht stehenden Leichtathleten 
berichten, über Biathleten nicht oder übers Boxen, wo dubiose Manager
das Sagen haben. Und wie weit soll das gehen? Was ist unter dem 
Vorzeichen erhöhten moralischen Anspruches überhaupt möglich? Was ist
mit den Hirn einlullenden Doku-Soaps am Nachmittag? Dürfen die 
gezeigt werden? Und wäre denn nicht gerade jetzt der Zeitpunkt der 
richtige gewesen, die Tour bei ihrem doch deutlich massiveren Versuch
der Fahrt ins Dopingfreie zu unterstützen? Eben kritischen Berichten.
Und nicht mit Ranschmeißen oder Stecker rausziehen.
Eines ist doch sicher: Die Sender hätten einfach den Zuschauer 
entscheiden lassen sollen, was er sehen will. Der hat sowieso seine 
eigene Moral.

Pressekontakt:

Rückfragen bitte an:
Westdeutsche Allgemeine Zeitung
Zentralredaktion
Telefon: (0201) 804-0
zentralredaktion@waz.de

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