Westdeutsche Allgemeine Zeitung
WAZ: Wovor wir uns fürchten: Angst als Auftrag - Leitartikel von Christopher Onkelbach
Essen (ots)
Jede Zeit hat ihre Ängste. Hunger, Krieg, der Osten, die Atombombe - so lauteten die Furcht erregenden Schlagworte in der Vergangenheit. Heute ist es: Terror. Die Mehrheit der Deutschen fühlt sich vom Terrorismus bedroht, ergab eine Umfrage. Sicher, die Medien dieser Tage waren voll von den Taten der RAF, man sah die Bilder wieder von Hanns Martin Schleyer, von den Geiseln in der entführten Lufthansamaschine, von den Olympischen Spielen in München 1972, als palästinensische Terroristen den Frieden des Sportfests zerstörten.
Jeden Tag sehen wir die Bilder des Terrors, sie kommen aus aller Welt zu uns. Aus dem Sudan, aus dem Irak, aus Tschetschenien, Pakistan oder Afghanistan. Und da sich der Schrecken endlos wiederholt, können wir die Orte und die Taten kaum noch unterscheiden. Der Terror ist gleichzeitig und überall, so erscheint es uns in der globalisierten Welt. Und nun auch noch die Festnahmen im sauerländischen Medebach. Terroristen direkt vor unserer Haustür? Wer sollte sich da nicht fürchten?
Dennoch: Wir wohnen zwar nicht auf einer Insel der Seligen und Friedfertigen, doch lebt es sich in Deutschland immer noch sicher und beschützt. Die Furcht vor dem Terror entspricht kaum der realen Bedrohung. Dennoch ist die Angst real. Sie mag zwar unbegründet sein, wirksam aber ist sie dennoch, privat und politisch. Sie lässt uns nachts unsere Haustüren abschließen oder Politikern vertrauen, die uns Sicherheit versprechen. Angst macht passiv. Sie lässt uns suchen nach jemandem, der stark genug erscheint, sie uns zu nehmen. So lässt sich die Furcht der Menschen für viele Zwecke ausnutzen.
Doch lässt sich dieses lähmende Gefühl auch positiv wenden. Angst macht erfinderisch, kreativ. Studien beweisen: Wer gebildet und informiert ist, wer also die Hintergründe durchschaut und die Zusammenhänge versteht, ist weniger furchtsam. In einer Welt, in der jeden Moment die Scheinwerfer eine neue Katastrophe irgendwo auf dem Globus beleuchten, ist das nicht wenig.
Andere Umfragewerte sollten uns beinahe mehr Sorgen bereiten: Wenn die Furcht vor steigenden Lebenshaltungskosten, vor Naturkatastrophen und dem Pflegefall im Alter fast ebenso groß ist wie die vor dem Terror, spricht daraus ein grundsätzliches Misstrauen gegenüber der Gestaltungskraft der Politik. Es fehlt offenbar das Vertrauen darin, dass sie die Zukunftsaufgaben wie Arbeit, Klimawandel und Altersversorgung lösen kann. Hier wird die Angst der Menschen zum politischen Auftrag.
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