Westdeutsche Allgemeine Zeitung
WAZ: FDP schlägt Mittelschule vor - Taktischer Vorstoß - Leitartikel von Peter Szymaniak
Essen (ots)
Die Situation in Deutschlands Klassenzimmern entscheidet Landtagswahlen: In Hessen und Bayern scheiterten die Regierungschefs der Union nicht zuletzt am Unmut der Eltern - darüber, dass die überstürzte Einführung der verkürzten Gymnasialzeit junge Schüler zu stark belastet hat. Schulpolitik ist Ländersache - und deshalb sind die bildungspolitischen Beschlüsse der Liberalen strategisch für 2010 in NRW so bedeutsam.
Ministerpräsident Jürgen Rüttgers (CDU) hat mit seiner schwarz-gelben Koalition den Schulen angesichts der verheerenden Bildungsleistungen im Lande und der fehlenden Chancengleichheit für Kinder aus armen Familien ein ehrgeiziges Programm verordnet: mehr Anstrengung, weniger Unterrichtsausfall, mehr Ganztagsschulen, mehr Lehrer, verkürzte Gymnasialzeit, weniger Sitzenbleiber.
Doch der Alltag in den Schulen läuft nicht rund: Immer noch fehlen vielerorts Ganztagsbetreuung und Mittagessen für Gymnasialschüler, gibt es Selbstbeschäftigung statt echten Unterricht, sind die Lehrpläne mit altem Unterrichtsstoff zu voll, ist die Hauptschule ein Sorgenkind. Auf dem Lande wissen CDU-Bürgermeister im Münsterland, am Niederrhein oder in Südwestfalen nicht, wie sie ihren Wählern bei sinkenden Schülerzahlen überhaupt noch irgendeine weiterführende Schule anbieten können.
Das Mittelschulen-Konzept der FDP ist daher wahltaktisch und bildungspolitisch gut überlegt: Auf Dauer kann sich das Land ein fünfgliedriges System (Sonder-, Haupt-, Real-, Gesamtschule und Gymnasium) bei immer weniger Schülern nicht leisten: Es ist zu teuer und zu ineffizient. Mit der freiwilligen Mittelschule tastet man das beliebte Gymnasium nicht an und bietet doch die Chance, dass von unten zusammenwächst, was zusammengehört.
Selbst dieser sanfte Wandel stieß bei den FDP-Delegierten auf erbitterten Widerstand - ein Hinweis, wie stark viele Bürger an den ihnen bekannten Schultypen hängen. Für SPD und Grüne wird es auch deshalb schwer, eine breite Zustimmung für ihre Idee einer Gemeinschaftsschule für alle bis zur zehnten Klasse zu gewinnen - nur wenige Bürger wollen wirklich das Gymnasium verschwinden sehen. Absehbar erscheint allerdings, dass auch Rüttgers seine CDU angesichts sinkender Schülerzahlen nach der Wahl 2010 für neue Schulstrukturen öffnen muss. Die Vorreiterrolle in dieser Frage hat von den Regierungsparteien nun aber die FDP erobert.
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