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WAZ: Verfassungsschutz: Gewalttätige Neonazis haben großen Zulauf
Behörden-Präsident Fromm: Ein Schwerpunkt der "Autonomen Nationalisten" liegt im Ruhrgebiet

Essen (ots)

In der gewalttätigen rechtsextremistischen Szene
verschieben sich die Gewichte. Wie der Präsident des Bundesamtes für 
Verfassungsschutz, Heinz Fromm, im Interview mit den Zeitungen der 
WAZ-Mediengruppe sagte, ist die Zahl der Skinheads, "die seit Jahren 
für schwere Gewalttaten verantwortlich sind, zwar spürbar 
zurückgegangen". Sorgen bereiten dem Inlands-Geheimdienst dagegen die
so genannten "Autonomen Nationalisten"; eine "relativ neue, militante
Gruppierung", die im Auftreten und der Gewaltbereitschaft den 
"schwarzen Block" der Linken kopiert. Fromm: "Ihre Zahl ist in 
relativ kurzer Zeit von 400-500 auf etwa 800 Personen gestiegen. Die 
Schwerpunkte liegen im Ruhrgebiet und im Berliner Raum." Weil die 
"Autonomen Nationalisten stärker politisiert seien als Skinheads und 
auf Gewalt gegen den politischen Gegner und Polizeibeamte setzten, 
hat das Bundesamt in Köln "die Aufklärungsmaßnahmen hier deutlich 
verstärkt". Mit Blick auf den 1. Mai rechnet Fromm in Großstädten wie
Berlin und Hamburg "schon deshalb" erneut mit gewalttätigen 
Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und der Polizei, "weil 
Rechtsextremisten durch ihre geplanten Aktionen die Konfrontation 
suchen und damit zur Eskalation beitragen." Das Gewaltpotenzial in 
der linksextremistischen Szene, die 2009 auch durch Anschläge auf 
Staatsorgane auf sich aufmerksam machte, ist aus Sicht des 
Verfassungsschutzes möglicherweise noch nicht ausgeschöpft. Fromm: 
"Bislang finden gezielte Anschläge auf Repräsentanten des Staates 
keine eindeutig positive Resonanz. Das kann sich schnell ändern und 
deshalb müssen wir sehr aufmerksam verfolgen, wie sich dieser Prozess
weiterentwickelt." Die Linkspartei bezeichnete Fromm im Gespräch mit 
der WAZ-Mediengruppe als "keine lupenrein extremistische 
Organisation". Es gebe systemkonforme und extremistische Strömungen 
und unterschiedliche regionale Ausprägungen. Fromm: "Teile der Linken
sehen in der Beobachtung offenbar ein Hemmnis für politischen Erfolg.
Ich halte das für ein gutes Zeichen." Eine rechtspopulistische Kraft 
vom Kaliber Geert Wilders in den Niederlanden kann der 
Verfassungsschutz derzeit in Deutschland nicht erkennen. "Pro Köln" 
und "Pro NRW" seien regionale Phänomene, sagte Fromm und fügte hinzu:
"Wenn zeitgleich die NPD das Thema Islamisierung instrumentalisiert, 
ist das für Pro NRW nicht nur eine lästige Konkurrenz, sondern macht 
die rechtsextremistische Tendenz des von der so 
genannten"Pro-Bewegung verfolgten populistischen Ansatzes deutlich."
WORTLAUT
Auf den Fluren in seinem Haus ist die Unruhe unverkennbar. Thomas 
de Maizière, der neue Bundesinnenminister und Dienstvorgesetzte, hat 
sich anderntags in Köln-Chorweiler zum Antrittsbesuch angekündigt. 
Heinz Fromm, seit bald zehn Jahren Präsident des Bundesamtes für 
Verfassungsschutz, ist dagegen die Ruhe selbst, als er die 
WAZ-Mediengruppe zu einem seiner seltenen Interviews empfängt.
Herr Fromm, alles neu macht der Mai - nur am Monatsersten ist es 
wie immer: Randale in Berlin-Kreuzberg, Krawall im Hamburger 
Schanzenviertel. Rechnen Sie diesmal mit einer neuen Qualität der 
Gewalt zwischen Links- und Rechtsextremisten auf der einen und der 
Polizei auf der anderen Seite?
Fromm: Wir haben zum jetzigen Zeitpunkt noch kein klares Bild, aber 
die Erfahrung der letzten Jahre lehrt, dass auch in diesem Jahr 
gewaltsame Auseinandersetzungen sehr wahrscheinlich sind. Schon 
deshalb, weil Rechtsextremisten durch ihre geplanten Aktionen die 
Konfrontation suchen und damit zur Eskalation beitragen. 
Linksextremisten schrecken nicht mehr vor Gewalt gegen Staatsorgane 
und Polizisten zurück. Was ist da los in der Szene? Fromm: Angriffe 
auf Polizeibeamte bei Demonstrationen sind leider kein neues 
Phänomen. Die aktuelle Entwicklung gibt aber in der Tat Anlass zu 
besonderer Sorge. Das gilt in erster Linie für Großstädte wie Berlin 
und Hamburg. In Hamburg gab es im Dezember einen Brandanschlag auf 
eine Polizeiwache. Zuvor hatten die Täter versucht die Tür zu 
versperren. Sie waren dabei offenbar ganz gezielt darauf aus, dass 
Polizeibeamte zu Schaden kommen. Dieses Ereignis hat zu Recht für 
öffentliche Empörung gesorgt und zu Überlegungen Anlass gegeben, die 
Entwicklungen im gewaltbereiten Linksextremismus noch genauer als 
bisher zu beobachten.
Rechnen Sie mit weiteren gravierenden Anschlägen?
Fromm: Das ist nicht auszuschließen, weil es in der Szene Kräfte 
gibt, die die Spirale der Gewalt weiterdrehen wollen. Und dabei geht 
es nicht um Vandalismus, wie man das vor allem im vergangenen Jahr 
beim Anzünden von Autos sehen konnte.
Sondern?
Fromm: Die Frage der Gewalteskalation hängt von der Entscheidung über
die weitere Strategie ab. In linksextremistischen Milieus geht es bei
der Wahl der Mittel auch immer um die Frage der Legitimität von 
Gewalt. Eine weitere Eskalationsstufe kann es dann geben, wenn das 
Umfeld den Gewalteinsatz und die dafür gegebene Begründung akzeptiert
und wenn die Urheber der Gewalt mit Mobilisierungseffekten rechnen. 
Bislang finden gezielte Anschläge auf Repräsentanten des Staates 
keine eindeutige positive Resonanz. Das kann sich schnell ändern und 
deshalb müssen wir sehr aufmerksam verfolgen, wie sich dieser 
Diskussionsprozess weiterentwickelt. Was das Umfeld angeht, gilt: je 
näher man den potentiellen Tätern steht, desto größer ist die 
Mitverantwortung für das, was geschieht.
Muss die Linkspartei weiter vom Verfassungsschutz beobachtet 
werden?
Fromm: Ja, das ergibt sich aus dem Gesetz, wonach bei Vorliegen 
tatsächlicher Anhaltspunkte für extremistische Bestrebungen die 
Voraussetzungen für eine Beobachtung gegeben sind. Ausschlaggebend 
ist, dass offen extremistische Zusammenschlüsse wie die 
"Kommunistische Plattform" nach wie vor integrierte Bestandteile der 
Partei sind, die auch die Zusammenarbeit mit extremistischen 
Organisationen im In- und Ausland praktiziert.
Ist die Linkspartei wirklich gefährlich für diesen Staat?
Fromm: Die Linkspartei, die wir im Übrigen nicht mit 
nachrichtendienstlichen Mitteln beobachten, ist keine lupenrein 
extremistische Organisation. Sie bietet ein eher ambivalentes Bild. 
Es gibt systemkonforme und extremistische Strömungen und insofern 
auch unterschiedliche regionale Ausprägungen. Teile der Linken sehen 
in der Beobachtung durch den Verfassungsschutz offenbar ein Hemmnis 
für politischen Erfolg. Ich halte das für ein gutes Zeichen.
Wie bewerten Sie die spezifische Situation des als 
überdurchschnittlich radikal geltenden NRW-Landesverbandes?
Fromm: Ich teile die Bewertung des Landesamtes für Verfassungsschutz 
in Düsseldorf. Der regionale Befund fügt sich in unser Bild von der 
Partei ein.
Welche Bedeutung messen Sie dem auf Systemwechsel angelegten 
Entwurf für das neue Parteiprogramm der Linken bei?
Fromm: Ich wage keine Prognose, ob sich Reformer oder 
Systemveränderer durchsetzen werden. Es wird abzuwarten sein, ob am 
Ende der Programmdiskussion tatsächlich die Forderung nach einer 
grundlegenden Systemveränderung steht.
Seitenwechsel auf die Rechtsaußenbahn: Die NPD steckt mitten in 
einer schweren Finanz- und Führungskrise. Wie bedrohlich ist sie noch
für den Rechtsstaat?
Fromm: Auch wenn die Mitgliederzahl im vergangenen Jahr von 7000 auf 
6800 zurückgegangen ist und die Wahlergebnisse, gemessen an den 
Erwartungen, ausgesprochen bescheiden waren, bleibt die NPD der 
Kristallisationspunkt der rechtsextremistischen Szene. Darum werden 
wir sie weiterhin intensiv beobachten.
Wie schwer wiegen die Finanzprobleme und der Machtkampf um den 
Vorsitzenden Udo Voigt?
Fromm: Die Partei ist in einer finanziell schwierigen Situation, 
entstanden unter anderem durch die Straftaten des ehemaligen 
Schatzmeisters. Auch der Tod des Neonazis und Vorstandsmitglieds 
Jürgen Rieger, der der Partei verschiedentlich unter die Arme 
gegriffen hat, hat die Probleme verstärkt. Das heißt aber nicht, dass
die NPD nicht mehr handlungsfähig wäre.
Und was ist mit den falschen Rechenschaftsberichten und den 
staatlichen Rückforderungen in Millionenhöhe?
Fromm: Hier stehen noch gerichtliche Entscheidungen über die Höhe der
Forderungen der Bundestagsverwaltung aus.
Wie steht es um die Strategie? Die NPD versucht sich doch gerade 
ein mehr mittiges, dezenter deutschnationales Gesicht zu geben.
Fromm: Die derzeitige Taktik der Partei, mit dem so genannten 
"sächsischen Weg" eine eher bürger- und wählerorientierte Linie mit 
stärkerer Orientierung an Alltagsthemen zu verfolgen, ist 
innerparteilich nicht unumstritten. Der radikalere Teil - die für die
Wahlkämpfe wichtigen Neonazis - sind mit dieser Ausrichtung 
unzufrieden. Noch kann der Vorsitzende Voigt die Balance zwischen den
Flügeln halten. Wie lange ihm das gelingen wird, ist ungewiss.
Sehen Sie in Deutschland ein schleichendes Erstarken einer 
rechtspopulistischen Kraft vom Kaliber Geert Wilders in den 
Niederlanden?
Fromm: Bislang nicht. "Pro Köln" und "Pro NRW" sind regionale 
Phänomene, das hängt auch mit begrenzten personellen Ressourcen 
zusammen. Ich sehe derzeit auch keine Führungspersönlichkeit in der 
so genannten "Pro-Bewegung", die eine ähnliche Wirkung wie etwa 
Wilders erzeugen könnte. Dazu kommt ein weiterer Aspekt: Wenn 
zeitgleich die NPD, wie zuletzt bei der Anti-Islam-Demonstration vor 
der Duisburger Moschee geschehen, das Thema "Islamisierung" 
ihrerseits instrumentalisiert, ist das für "Pro NRW" nicht nur eine 
lästige Konkurrenz, sondern macht die rechtsextremistische Tendenz 
des populistischen Ansatzes der "Pro-Bewegung" deutlich.
Was beunruhigt den Verfassungsschutz im Bereich Rechtsextremismus 
am meisten?
Fromm: Die Öffentlichkeit blickt derzeit zu Recht auf den militanten 
Linksextremismus. Gleichzeitig darf die Aufmerksamkeit für den 
rechtsextremistischen Teil, vor allem den gewalttätigen, nicht 
nachlassen.
Bitte, hier bekommen Sie die Aufmerksamkeit.
Fromm: Die Zahl der subkulturell orientierten Rechtsextremisten, der 
Skinheads, die seit Jahren für schwere Gewalttaten verantwortlich 
sind, ist zwar auf unter 10 000 gesunken und damit spürbar 
zurückgegangen. Was uns aber Sorgen macht, sind die "Autonomen 
Nationalisten" - eine relativ neue, militante Gruppe.
Sie meinen politisierte Neonazis, die im Auftreten und der 
Gewaltbereitschaft den linken "schwarzen Block" kopieren?
Fromm: Ja, die "Autonomen Nationalisten" bilden nach unseren 
Schätzungen etwa 15 Prozent des Neonazipotenzials. Seit einigen 
Jahren erfordern diese jungen Rechtsextremisten zunehmend unsere 
Aufmerksamkeit. Bei den "Autonomen Nationalisten", die in Aussehen 
und Aktionsformen auf den ersten Blick kaum von linken Autonomen zu 
unterscheiden sind, sind keine festen Organisationsstrukturen 
erkennbar. Empirisch gesicherte Zahlenangaben sind daher schwierig. 
Wir gehen derzeit davon aus, dass das Personenpotenzial in den 
letzten drei Jahren von 400-500 auf etwa 800 Personen gestiegen ist.
Schwerpunkte der "Autonomen Nationalisten" liegen im Ruhrgebiet 
und im Berliner Raum. Was weiß man über diese Leute, ihre Motive und 
Ziele?
Fromm: Noch nicht genug. "Autonome Nationalisten" sind stärker 
politisiert als Skinheads, für die unreflektierter Nationalismus und 
rechtsextremistische Musik identitätsstiftend sind und deren Gewalt 
auf Einzelpersonen - in der Regel Ausländer - zielt. "Autonome 
Nationalisten" dagegen haben ein eindeutig neonationalsozialistisches
Weltbild und setzen auf Gewalt gegen den politischen Gegner und auch 
gegen Polizeibeamte. Das zeigte sich unter anderem bei den schweren 
Auseinandersetzungen zwischen "Autonomen Nationalisten" und 
Gegendemonstranten am 1. Mai 2008 in Hamburg oder bei den Angriffen 
auf Gewerkschaftsmitglieder im Mai 2009 anlässlich einer 
DGB-Kundgebung in Dortmund. Wir haben die Aufklärungsmaßnahmen in 
diesem Bereich deutlich verstärkt.
Wie steht es um die Abwehrkräfte der Zivilgesellschaft?
Fromm: Ich persönlich bin froh über das bürgergesellschaftliche 
Engagement gegen den Rechtsextremismus, das sich zum Beispiel im 
Februar in Dresden gezeigt hat. Solche zivilgesellschaftlichen 
Aktivitäten gegen den Extremismus sind von entscheidender Bedeutung 
und ein gutes Zeichen für unsere Demokratie. Und das Geld, das man 
hier etwa zu Präventionszwecken investiert, ist gut angelegt. Wenn 
sich jetzt auch gesellschaftliche Gegenkräfte zum militanten 
Linksextremismus stärker entwickeln, die sagen, es ist nicht 
akzeptabel, wenn Menschen angegriffen oder Autos angezündet werden, 
kann man noch optimistischer sein.
Welche neuen Trends gibt es im islamistischen Terrorismus? Seit 
der Innenminister nicht mehr Schäuble heißt, gibt es kaum noch 
öffentliche Terror-Weckrufe. Lässt die Gefahr nach?
Fromm: Nein. Der neue Innenminister hat mehrfach erklärt, dass sich 
an der Gefährdungslage nichts geändert hat. Wir werden nach meiner 
Einschätzung noch auf lange Sicht von Anschlägen islamistischer 
Terroristen bedroht sein. Die Anzahl derjenigen, von denen nach den 
vorhandenen Erkenntnissen eine Gefahr ausgeht, ist nicht geringer 
geworden. Weiterhin reisen in Deutschland geborene Muslime oder auch 
Konvertiten in Ausbildungslager nach Afghanistan und Pakistan. Einige
kehren zurück. Die auf sie und auch andere, ähnlich motivierte 
Personen gerichteten Überwachungsmaßnahmen der Sicherheitsbehörden 
müssen aufrecht erhalten werden.

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