Westdeutsche Allgemeine Zeitung
WAZ: Der SPD-Schulreform fehlt Mut: Nachsitzen und zu Ende denken - Kommentar von Peter Szymaniak
Essen (ots)
Schon in den 60er Jahren hat sich die Erkenntnis in Politik und Wissenschaft durchgesetzt, dass man keinem Zehnjährigen prophezeien kann, ob er Kanalarbeiter oder Professor wird. Doch genau das wird in unserem merkwürdig starr gegliederten Schulsystem gemacht - und keine NRW-Regierung hat ernsthaft versucht, daran etwas zu ändern. So verteilen wir die Jungen und Mädchen demnächst im zarten Alter von neun Jahren: zum Gymnasium, zur Realschule, Gesamtschule, Hauptschule, Sonderschule. Danach haben die meisten nur noch die Chance abzurutschen; den Aufstieg schaffen nur einzelne. Je nach Wagemut der Eltern dürfen Kinder also durchstarten oder landen auf dem Abstellgleis.
Das Pisa-Ergebnis war nicht allzu verblüffend: In Deutschland steht es besonders schlecht um Kinder von Eltern mit geringer Bildung. Dabei soll das Pflicht-Schulsystem dafür sorgen, das Potenzial benachteiligter Kinder voll auszuschöpfen.
Die schwarz-gelbe Landesregierung will am gegliederten Schulsystem nicht rütteln - aus Angst vor tatkräftiger Lobbyarbeit der Lehrer und Eltern von Gymnasien und Realschulen, die ihre Schulen massiv verteidigen. Die meisten finden es beruhigend, dass früh sortiert wird und ihr Nachwuchs nicht mehr mit "Schmuddelkindern" lernen und spielen muss.
Angesichts dieser Lage ist es anzuerkennen, dass die SPD die Schulstruktur ändern will. Doch die SPD-Idee ist völlig unausgegoren - aus mangelndem Mut. Hält man längere gemeinsame Lernzeiten für sinnvoll, dann muss man das auch landesweit anordnen und darf dies nicht den Städten überlassen. Sonst gibt es 396 verschiedene Schullandschaften allein in NRW - umziehen von Bochum nach Coesfeld wäre nur schwer organisierbar. In einigen Städten sind gar sechs verschiedene Schultypen denkbar - unmöglich. Nachsitzen, SPD!
Nachsitzen muss aber auch Ministerpräsident Jürgen Rüttgers (CDU). Seine Schulreformen erhöhen eher die bildungspolitischen Ungleichgewichte statt sie zu verringern. Der gesteigerte Notendruck bei längerem Unterricht bringt sogar Mittelschicht-Eltern ins Grübeln, ob sie ihre Kinder aufs Turbo-Gymnasium schicken. Wir benötigen aber mehr Studierfähige, nicht weniger.
Rüttgers wird das Thema angesichts sinkender Schülerzahlen ohnehin nicht los: Auf dem Lande ist den Bürgermeistern eine Gemeinschaftsschule lieber als keine weiterführende Schule. Und dort sitzt die Klientel der CDU.
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