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WAZ: Der Aufschwung: Deutschland ist wieder wer - Leitartikel von Thomas Wels

Essen (ots)

Selten scheinen Nachrichten eines Tages
widersprüchlicher. Bei dem traditionsreichen Bauunternehmen Wiemer & 
Trachte in Dortmund zittern Hunderte Mitarbeiter und ihre Familien um
das Überleben des Unternehmens und mithin ihr Auskommen. Ebenfalls in
Dortmund streicht die Süßwarenfabrik van Netten fast 200 
Arbeitsplätze. Aufschwung, war da was?
Ja, da war was. Irgendwo in den Zahlenkolonnen der 
Wirtschaftsforscher versteckt sich die Hoffnung auf Besserung. Das 
gewerkschaftsnahe Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung 
erwartet einen Rückgang der Arbeitslosenzahl in diesem Jahr auf 3,77 
Millionen. Zeitweise werde die Zahl auf drei Millionen sinken. Das 
sind immer noch drei Millionen zuviel, aber es ist eine Zahl, die die
Statistiker zuletzt Anfang der Neunziger notierten. Das darf schon 
Mut machen. Dazwischen lag die Finanzierung der deutschen Einheit, 
die in fatal falscher Einschätzung der Lage im wesentlichen den 
Sozialsystemen aufgeladen worden ist. Arbeit in Deutschland wurde 
deshalb immer teurer, obschon die Menschen weniger in der Tasche 
hatten.
In den vergangenen zehn Jahren haben das die Deutschen bitter 
bezahlt. Die Verlagerung von Unternehmen ins billigere Ausland oder, 
für die Betroffenen genauso schlimm, vom Westen in den bezuschussten 
Osten, geriet zur Chiffre für eine absteigende Volkswirtschaft. In 
der Folge stiegen Arbeitslosigkeit und Beiträge zur 
Sozialversicherung, weil immer weniger einzahlten und immer mehr 
Leistungen benötigten. Wieder wurde Arbeit teurer als anderswo.
Und heute? Heute ist Deutschland wieder wer. Der Heizer auf der 
Lokomotive des konjunkturellen Geleitzugs der Industrieländer heißt 
Germany. Der Erfolg hatte seinen Preis: Die Löhne und Gehälter 
wuchsen kaum, was weitsichtigen Gewerkschaften zu danken ist. Die 
Produktivität, also die Wertschöpfung pro Stunde, wuchs stark an, was
den Unternehmen zu danken ist. Damit ist Deutschland über schwere 
zehn Jahre hinweg wieder ein guter Standort, auch Produktionsstandort
geworden. Wenn es so weiter geht, werden das auch die Menschen 
spüren, die in einer Forsa-Umfrage zu Protokoll gaben, der Aufschwung
gehe an ihnen vorbei.
Noch immer erschüttern Meldungen wie die von Wiemer & Trachte 
mehr als die von MAN Turbo, das 200 neue Stellen in Oberhausen 
schafft, Hoffnungen weckt. Auch das wird sich ändern. Im Bau, 
abgemagert bis aufs Skelett, beginnt erst jetzt der Aufbau. Langsam, 
aber bestimmt.

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Zentralredaktion
Telefon: (0201) 804-0
zentralredaktion@waz.de

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