Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zu Schottland
Bielefeld (ots)
Die Erlösung Europas kommt im Morgengrauen. Als Counting Officer George Black, der Wahlleiter von Glasgow, kurz vor fünf Uhr Ortszeit ans Mikrofon tritt, da hat es sich mit der Sorgen einflößenden Unabhängigkeit für Jahrzehnte erledigt. Danke dafür! Auf die vielfältig herausgeforderte EU kommt nicht noch ein weiteres Riesenproblem zu. In Schottlands größter Stadt liegen die Gegner des Vereinigten Königreichs zwar vorn, aber wie in der anderen Hochburg Dundee nicht deutlich genug, um die vielen »No«-Stimmen im restlichen Land noch auszugleichen. Erst eine knappe halbe Stunde später - also inzwischen gut sieben Stunden nach der Schließung der Wahllokale - traut sich die vorsichtige BBC die Prognose zu, dass die Unabhängigkeit wohl abgelehnt worden ist. In der aufgeheizten Atmosphäre will niemand etwas falsch machen. Auf Beobachter hiesiger von Hochrechnungen beschleunigter Wahlabende war es geradezu eine Seelenruhe gewesen, in der bis dahin schon 26 der 32 Wahlbezirke zwischen Highlands und Hebriden ausgezählt worden waren. Es ist eine sehr alte Demokratie, die hier bei einer seit gut 60 Jahren nicht gesehenen Beteiligung von beeindruckenden 85 Prozent auf ihre traditionelle Art Geschichte geschrieben hat - vorbildlich friedlich natürlich. Da passt die skurrile Art sich wiederholender Verkündungsszenen. George Black ist in dieser Nacht wahrlich kein Einzelfall. Vielleicht bleiben die Counting Officer ja erhalten. Sonst aber wird sich im weiter Vereinigten Königreich vieles ändern. Die rund 1,6 Millionen Schotten, die »Yes« zur Unabhängigkeit gesagt haben, werden auch Walisern, Nordiren und selbst Engländern den Weg zu mehr Mitbestimmung gegenüber der zentralen Macht in Westminster ebnen. Das fordert einerseits die »Yes«-Seite um den Vater des Referendums, Alex Salmond, zu Recht. Das räumt aber auch die siegreiche »No«-Seite um Kampagnenorganisator Alistair Darling als legitim und notwendig ein, um nicht nur die Schotten wieder zu einen. Den Unionisten ist klar, dass das beneidenswerte Engagement und die enorme Politisierung des ganzen Landes Folgen haben müssen. Dabei ist das Zurückfinden zu einem moderaten Ton in der Auseinandersetzung die kleinere Aufgabe. Die Gestaltung eines moderneren, dezentraleren Gemeinwesens und der dazu gehörigen Verfassung erfordert ganz andere Anstrengungen. Deshalb wirkt der von Premierminister David Cameron noch am Freitagmorgen vor Downing Street Nummer 10 vorgetragene Zeitplan mit Ergebnissen schon im Herbst auch fraglich. Denn noch ist nicht klar, wer in diesen Prozesse eingebunden werden soll - und wer sich einbinden lässt. Doch jetzt schon dürfen die müden Helden des Referendums stolz sein, der Welt gezeigt zu haben, dass mit separatistischen Ideen in Europa auch unbewaffnet umgegangen werden kann. Viel Glück auf dem weiteren Weg!
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