Dominoeffekt in Amazonasregion: Anpassungsfähigkeit durch globale Erwärmung und Abholzung gefährdet
Dominoeffekt in Amazonasregion: Anpassungsfähigkeit durch globale Erwärmung und Abholzung gefährdet
Der Regenwald wird durch den Klimawandel sowie durch intensivierte Abholzung bedroht. Ein internationales Team von Forschenden, darunter auch Wissenschaftler vom MARUM – Zentrum für Marine Umweltwissenschaften, Fachbereich Geowissenschaften und Institut für Umweltphysik der Universität Bremen, hat untersucht, wie sich eine verändernde Atlantikzirkulation auf den Amazonas-Regenwald auswirken würde. Ihre Analyse dazu hat jetzt die Fachzeitschrift Nature Geoscience veröffentlicht.
Das Klimasystem der Erde ist hochkomplex und seine Komponenten, zu denen Ozean, Atmosphäre und Vegetation zählen, sind eng miteinander verzahnt. Ändern sich einzelne Parameter, kann das weitreichende Auswirkungen auf das gesamte System haben. Bis zu einem bestimmt Grad können die Systemkomponenten Veränderungen abfedern und sind resilient – die Erdsystem- und Klimaforschung geht jedoch davon aus, dass es verschiedene sogenannte Kipppunkte gibt. Werden diese überschritten, ändert das Klimasystem seinen Zustand in kurzer Zeit. Dabei wird vermutet, dass sich Kipppunkte im Klimasystem gegenseitig beeinflussen und eine Kettenreaktion oder Kaskade auslösen können.
Auch der Amazonas-Regenwald und die Umwälzzirkulation des Atlantiks, die sogenannte AMOC (Atlantic Meridional Overturning Circulation), zählen zu den globalen Kippelementen. Erhitzt sich der Planet weiter, kann das die AMOC erheblich abschwächen. Dadurch würde das Förderband verlangsamt, das warmes Wasser in nördliche Regionen transportiert, und sich die Temperaturverteilung im Atlantik drastisch verändern. Dies hätte auch Folgen für die Amazonasregion, da sich die veränderten Atlantiktemperaturen auf den atmosphärischen Wasserkreislauf und somit die Niederschlagsmuster und -mengen auswirken würden.
Analyse von Pollen- und Kohlerückständen
Wie genau AMOC und Amazonas als Systeme miteinander verbunden sind und die Meereszirkulation die Amazonasregion beeinflusst, ist noch nicht umfassend erforscht. Ein Team von Forschenden unter der Leitung von Dr. Thomas Akabane und Professor Cristiano Chiessi von der Universität São Paulo hat nun Veränderungen der Vegetation in der Amazonasregion analysiert. Aus einem marinen Sedimentkern, der vor der Amazonasmündung gewonnen wurde, haben sie gemeinsam mit einem internationalen Team Pollen- und Kohlerückstände der vergangenen 25.000 Jahre analysiert.
Diese Analyse ermöglicht dem Team einen detaillierten Blick in die Vergangenheit eines der artenreichsten Ökosysteme der Erde. Die Daten zeigen, wie sich die Vegetation und Feucht- sowie Trockenperioden während vergangener Klimaereignisse der letzten Eiszeit, bei denen sich die AMOC drastisch abschwächte (sogenannte Heinrich-Ereignisse), verändert haben. Insbesondere fanden die Forschenden dabei einen dramatischen Rückgang der Regenwaldvegetation im nördlichen Teil des Amazonasgebietes.
Enge Verbindung zwischen Atlantikzirkulation und Amazonas-Ökosystem
„Die Studie ist das Ergebnis einer langjährigen deutsch-brasilianischen Zusammenarbeit, die 2012 mit einer gemeinsamen Expedition mit dem Forschungsschiff MARIA S. MERIAN in das Mündungsgebiet des Amazonas begann. Unsere Daten zeigen, dass sich das Amazonas-Ökosystem in der Vergangenheit an Veränderungen der Niederschlagsmuster in Folge einer abgeschwächten Atlantikzirkulation anpassen konnte. Eine künftige Abschwächung der AMOC mit einer gleichzeitig fortschreitenden Entwaldung könnte aber die Stabilität dieses global wichtigen Systems gefährden“, sagt Dr. Stefan Mulitza vom MARUM.
Weitere Untersuchungen unter Verwendung von Klima- und Vegetationsmodellen belegen, dass sich eine AMOC-Abschwächung unter heutigen Bedingungen ähnlich auf die Vegetation im Amazonasgebiet auswirken würde wie in der eiszeitlichen Vergangenheit. „Die Modelle haben uns gezeigt, dass die AMOC nicht erst vollständig zusammenbrechen muss, um sich auf den Regenwald auszuwirken. Die nördlichen Regionen des Amazonasgebietes sind schon bei mäßigen Änderungen der AMOC massiv betroffen“, erklärt Dr. Matthias Prange vom MARUM.
Das Ergebnis zeigt, wie komplex das globale System ist: „Treiber in hohen Breiten wie das Abschmelzen von Grönland können erhebliche Auswirkungen auf die Tropen haben. Solche Fernwirkungen sorgen für gravierende regionale Effekte, gerade für Menschen, die nur wenig für den Klimawandel verantwortlich sind“, ergänzt Professor Gerrit Lohmann vom AWI.
Text: Ulrike Prange/ MARUM
Beteiligte Einrichtungen:
Institut für Geowissenschaften, Universität von São Paulo, Brasilien
Universität São Paulo, Brasilien
Bundesuniversität von Santa Catarina, Brasilien
UIZ-Ibn Zohr Universität Agadir, Marokko
MARUM – Zentrum für Marine Umweltwissenschaften, Universität Bremen, Deutschland
ETH Zürich, Schweiz
Interkantonales Laboratorium, Schweiz
Universität Utrecht, Niederlande
AWI – Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung, Deutschland
Technische Universität München, Deutschland
Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung, Deutschland
Universität Exeter, Großbritannien
Univ. Bordeaux, CNRS, Bordeaux INP, EPOC, Frankreich
Universität von Campinas, Brasilien
Südliches Labor für Meereswissenschaft und -technik Guangdong (Zhuhai), China
Weitere Informationen:
Originalpublikation:
Thomas Akabane, Cristiano Chiessi, Marina Hirota, Ilham Bouimetarhan, Matthias Prange, Stefan Mulitza, Dailson Bertassoli Jr., Christoph Häggi, Arie Staal, Gerrit Lohmann, Niklas Boers, Anne-Laure Daniau, Rafael Oliveira, Marília Campos, Xiaoxu Shi, Paulo De Oliveira: Weaker Atlantic overturning circulation increases the vulnerability of northern Amazon forests. Nature Geoscience 2024. DOI: 10.1038/s41561-024-01578-z
Publikation in Nature Geoscience: https://www.nature.com/articles/s41561-024-01578-z
Artikel Jornal da USP [von Herton Escobar – Portugiesisch]
Fragen beantworten:
Dr. Matthias Prange
Geosystem-Modellierung
MARUM – Zentrum für Marine Umweltwissenschaften und Fachbereich Geowissenschaften
Universität Bremen
E-Mail: mprange@marum.de
Dr. Stefan Mulitza
Paläozeanographie
MARUM – Zentrum für Marine Umweltwissenschaften und Fachbereich Geowissenschaften
Universität Bremen
E-Mail: smulitza@marum.de
Prof. Dr. Gerrit Lohmann
Paläoklimadynamik
MARUM – Zentrum für Marine Umweltwissenschaften und Institut für Umweltphysik
Universität Bremen
Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung
E-Mail: Gerrit.Lohmann@uni-bremen.de
Dr. Thomas Akabane
Institut für Geowissenschaften
Universität von São Paulo
E-Mail: thomask.akabane@gmail.com
Prof. Dr. Cristiano Chiessi
Universität von São Paulo
E-Mail: chiessi@usp.br
Universität Bremen Hochschulkommunikation und -marketing Telefon: +49 421 218-60150 E-Mail: presse@uni-bremen.de Über die Universität Bremen: Leistungsstark, reformbereit und kooperativ – das ist die Universität Bremen. Gesellschaftliche Verantwortung ist ihr Leitprinzip seit ihrer Gründung 1971. Sie steht für die weltweit notwendigen sozialen und ökologischen Veränderungen ein, für Demokratie, Vielfalt und Gerechtigkeit. In Forschung, Lehre, Verwaltung und Technik sind der Universität Bremen die UN-Nachhaltigkeitsziele und Klimagerechtigkeit ein besonderes Anliegen. Mit ihrem breiten Fächerspektrum von rund 100 Studiengängen verbindet sie außergewöhnliche Leistungsstärke und großes Innovationspotential mit ausgeprägter Interdisziplinarität. Sie steht nachdrücklich für den Ansatz des Forschenden Lernens und Studierens. Als eine ambitionierte europäische Forschungsuniversität pflegt die Universität Bremen enge Kooperationen mit Universitäten und Forschungseinrichtungen weltweit. In der Region ist sie Teil der U Bremen Research Alliance und Transferpartnerin für viele Akteure. Als Teil der Europäischen Universitätsallianz YUFE - Young Universities for the Future of Europe leisten die 23.000 Menschen der Universität Bremen einen Beitrag für die Weiterentwicklung der Gesellschaft und gestalten aktiv wissenschaftliche Kooperationen weltweit.