Schwäbische Zeitung: Leitartikel zu Flüchtlingen - Die Kirche wird zum Vorreiter
Ravensburg (ots)
Als aus Jorge Mario Bergoglio im März diesen Jahres Papst Franziskus wurde, reagierte die Welt nicht mit ungeteilter Begeisterung. Vor allem seine Rolle als Leiter des Jesuitenordens während der argentinischen Militärdiktatur führte zu manchem Argwohn gegenüber dem neuen Oberhaupt der katholischen Kirche. Diese kritische Distanz legte sich aber schnell, denn der neue Papst überzeugte viele Menschen mit seiner Demut, seiner Kritik an der kirchlichen Selbstbezogenheit, seinem Werben für eine Kirche der Armen. Im September verblüffte Franziskus erneut, als er verlangte, Ordensgemeinschaften sollten ihre leer stehenden Klöster für Flüchtlinge öffnen. Doch der neue Papst war nicht der einzige Kirchenmann, der in jüngster Zeit überraschte.
Denn nur einen Monat später griff der Bischof der Diözese Rottenburg-Stuttgart, Gebhard Fürst, Franziskus' Gedanken auf und schlug vor, die leeren Räume des früheren Benediktinerklosters im oberschwäbischen Weingarten als Obdach für Flüchtlinge zur Verfügung zu stellen. Und jetzt, wenige Wochen später, ist die Realisierung dieser Idee schon beschlossene Sache. In einem atemberaubenden Tempo, bedenkt man, wie lange Asylverfahren oder behördliches Handeln sich mitunter hinziehen.
Das, was in Weingarten passiert, ist ein starkes Signal. Nicht der Staat, sondern die Kirche hat mit unkonventionellem Handeln die Flüchtlingspolitik ein Stück nach vorne gebracht. Sie hat nicht Geld für neue Asylcontainer am Stadtrand gespendet, sondern ihr Haus angeboten, das mehr ist als nur eine Herberge. Sie hat sich gegen Bedenkenträger durchgesetzt und ihre Partner, seien es Land, Landkreis oder Kommune, mitgezogen.
Noch viel wichtiger aber ist: Die Kirche ermuntert durch ihren Einsatz in Weingarten auch andere Menschen und Gemeinden an anderen Orten, dem Elend der Flüchtlinge nicht mehr tatenlos zuzusehen.
Wird Weingarten zum Vorreiter, der Nachahmer mitreißt? Hoffentlich.
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