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Universität Hohenheim

Neues Bakterium heißt nach Uni Hohenheim

Neues Bakterium heißt nach Uni Hohenheim
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PRESSEMITTEILUNG DER UNIVERSITÄT HOHENHEIM

Besondere Ehrung:

Neues Bakterium trägt Namen der Universität Hohenheim

Forscherinnen entdecken bislang unbekannte Bakterien im Dünndarm von Hühnern. Die Mikroorganismen könnten Gesundheit & Futterverwertung der Nutztiere beeinflussen.

Video auf Youtube: https://www.youtube.com/watch?v=9ks6dADgRQI

Anspruchsvoll, hoch spezialisiert und wahrscheinlich sehr hilfreich: So präsentiert sich ein bislang unbekannter Mikroorganismus mit Namen Ligilactobacillus hohenheimensis sp. nov. Diesen Namen verlieh ihr die mexikanische Doktorandin Bibiana Rios Galicia nach 3 Jahre aufwändiger Forschungsarbeit an der Universität Hohenheim in Stuttgart. Neben der neuen Bakterienspezies entdeckte Rios Galicia noch sieben weitere Bakterienspezies und konnte eine ganze neue Gattung Faecalispora beschreiben. Sie alle sind Teil eines bakteriellen Mikrokosmos im Verdauungstrakt von Nutztieren, wo sie einen bedeutenden Einfluss auf Gesundheit, Verhalten und Wohlergehen der Tiere ausüben. Wie Nutztiere und ihr Mikrobiom sich gegenseitig beeinflussen ist ein wichtiger Forschungsschwerpunkt der Universität Hohenheim und des Hohenheim Centers for Livestock Microbiome Research (HoLMiR). Wissenschaftliche Publikation der jüngsten Entdeckung: https://doi.org/10.1099/ijsem.0.006210

Eisnebel wabern aus der Tür des Ultra-Tiefkühlschrank, wenn Mikrobiologin Dr. Bibiana Rios Galicia den Ultra-Tiefkühlschrank öffnet, um nach ihren neu entdeckten Bakterien zu sehen. Minus 80 Grad Celsius beträgt die Temperatur, bei der die Universität Hohenheim ihre Bakterium-Sammlung lagert.

Minus 80 Grad Celsius – das liegt 86 Grad unter der durchschnittlichen Tiefsttemperatur von Mexiko Stadt, wo Dr. Rios Galicia vor ihrer Forschung an der Universität Hohenheim studierte. Und es ist 119 Grad kälter als die Lebensumgebung, in der Dr. Rios Galicia die neuen Mikroorganismen entdeckte: Im Dünndarm von Haushühnern.

Viele Details über das Leben dort müssen zwar noch erforscht werden. Fest steht allerdings jetzt schon: Es ist eine Lebensgemeinschaft, von der das Haushuhn als Gastgeber stark profitiert.

Neue Bakterienspezies unterstützt Tiere bei Energieversorgung

Als nützlich erweisen sich die neuen Bakterien aus ganz verschiedenen Gründen: „Die acht neu isolierten Bakterienspezies unterstützen das Huhn, um Energie aus der Nahrung zu ziehen“ erklärt Prof. Dr. Jana Seifert von der Universität Hohenheim. Die Leiterin des Fachgebietes „Funktionelle Mikrobiologie bei Nutztieren“ ist eine von zwei Expertinnen, die Dr. Rios Galicia bei ihrer Doktorarbeit betreuten.

„Aus dem Erbgut der Faecalispora-Bakterien können wir ablesen, dass sie Eiweißstoffe und Kohlenhydrate aus dem Hühnerfutter aufnehmen, um Essigsäure und Buttersäure zu produzieren“, ergänzt Prof. Dr. Amélia Camarinha Silva, die zweite Betreuerin von Dr. Rios Galicia und Leiterin des Fachgebietes „Mikrobielle Ökologie bei Nutztieren“.

Essigsäure sei ein wichtiger Energielieferant, den das Huhn über die Darmschleimhaut aufnehmen könne. Bakterien, die Buttersäure im Darm produzieren, seien wichtig für die Gesundheit des Tieres. „Das gilt übrigens nicht nur für Tiere, sondern auch für Menschen.“

Hohenheim-Bakterium könnte Immunsystem und Hormonhaushalt bereichern

Sehr speziell sei dagegen Ligilactobacillus hohenheimensis. „Dieses Bakterium produziert Proteine, die zum Beispiel für die Kommunikation mit dem Immunsystem oder den Hormonhaushalt des Huhnes wichtig sein könnten“, berichtet Entdeckerin Dr. Rios Galicia.

Was die eigene Ernährung und Lebensumwelt betrifft, sei der Mikroorganismus ausgesprochen wählerisch: „Der Blick ins Erbgut zeigt uns, dass es sich hauptsächlich von Laktat, Malat und anderen Abbauprodukten ernährt, die entstehen wenn das Huhn und andere Bakterien im Dünndarm Pflanzenfasern und Zellulose verdauen.“

Auch seine sonstigen Ansprüche seien wohl ganz speziell auf die Umweltbedingungen im Dünndarm des Haushuhns angepasst. „Wir gehen deshalb davon aus, dass es sich um ein hochspezialisiertes Bakterium handelt, das sich ideal auf Hühner als Wirtstiere angepasst hat.“

Mensch & Tier beherbergen Millionen Mikroorganismen – die Großes bewirken

In dieser Umgebung sind Ligilactobacillus hohenheimensis und die Faecalispora-Bakterien nicht allein. „Wir wissen, dass Menschen und Tiere in ihrem Verdauungstrakt Millionen und Milliarden von Mikroorganismen beherbergen“, sagt Prof. Dr. Camarinha Silva. Dabei wird zunehmend bekannt, wie sehr sich dieses Mikrobiom nicht nur auf Gesundheit und Wohlbefinden, sondern auch auf Stimmungen von Mensch und Tier auswirken.

„An der Universität Hohenheim erforschen wir deshalb intensiv, wie sich Mikrobiom und landwirtschaftliche Nutztiere gegenseitig beeinflussen“, erklärt Prof. Dr. Seifert. Oft handelt es sich dabei um Grundlagenforschung. Mittelfristig wird sich diese jedoch als sehr vorteilhaft erweisen, sind die Forscherinnen überzeugt.

„Das Mikrobiom ist ein Schlüssel dafür, dass Nutztiere sich wohlfühlen“, sagt Prof. Dr. Camarinha Silva. „Es hilft uns, Tiere so zu ernähren und Rassen zu züchten, die das Futter optimal verwerten. Das spart wichtige Ressourcen. Mit mehr Wissen über das Mikrobiom können wir auch neue Nahrungsquellen aus Reststoffen der Nahrungsmittelproduktion erschließen. Und wir haben einen Hebel, um z.B. den Methanausstoß zu senken, mit dem vor allem Wiederkäuer das Klima negativ beeinflussen.“

Möglicherweise ließe sich über das Mikrobiom auch Einfluss auf Tierverhalten und mögliche Verhaltensstörungen nehmen: zum Beispiel wenn Hühner nach Federn picken oder Schweine nach den Schwänzen von Artgenossen schnappen. „Auf jeden Fall hat das Zusammenspiel von Mikrobiom und Nutztier einen Einfluss darauf, ob die Tiere robust und gelassen oder nervös und stressanfällig sind“, so Prof. Dr. Seifert.

Neues Forschungszentrum soll Mikrobiom-Forschung vorantreiben

In gute einem Jahr eröffnet die Universität Hohenheim deshalb einen eigenen Forschungskomplex zu diesem Thema. Das Hohenheim Center for Livestock Microbiome Research – kurz: HoLMiR – bietet europaweit einzigartige Labore und Tierhaltungsanlagen.

Einmalig sind z.B. die sogenannten Respirationskammern, in denen sich ein ganzes Rind aufhalten kann, um zum Beispiel genau zu messen, welchen Methan-Ausstoß verschiedene Futtermittel verursachen. Die neuen Labore ermöglichen effiziente mikrobiologische und molekularbiologische Analysen verschiedener Probentypen in kurzer Zeit.

Ebenfalls Teil von HoLMiR: zwei Räume mit weiteren Ultra-Tiefkühlschränken, die eine wachsende weltweite beachtete Mikroben-Sammlung beherbergen. Und ein Maschinenpark, der weite Teile der Laborarbeit automatisiert und beschleunigt.

Für Hohenheim-Bakterium war noch viel Handarbeit notwendig

Für die Entdeckung des Hohenheim-Bakteriums musste Dr. Rios Galicia nämlich noch viel Handarbeit investieren. Und das unter erschwerten Bedingungen.

Weil die Bakterien keinen Sauerstoff vertragen, musste sie alle Untersuchungen unter Schutzatmosphäre vornehmen. „Für solche Arbeiten haben wir eine Werkbank, in die wir nur mit abgedichteten Handschuhen hineingreifen können. Alle Proben und alle Materialien müssen wie bei einem U-Boot in eine Luftschleuse, wo sie mit einer Schutzgas-Mischung aus Stickstoff, Wasserstoff und Kohlendioxid geflutet werden.

In diesem Forschungsprojekt bestanden die Proben aus fingerlangen Stücke von Hühnerdünndarm, die nur wenige Sekunden nach der Entnahme aus dem Tier an der Luft sein durften. Das Körpergewebe stammte aus einem anderen Forschungsprojekt. Solche Gemeinschaftsprojekte sind ein Weg, mit dem die Wissenschaftler:innen der Universität Hohenheim die Zahl der Tierversuche reduzieren.

Danach lagerte Dr. Rios Galicia die Dünndarm-Proben für unterschiedliche Zeiträume in einer Nährlösung, überführte regelmäßig ein paar Tropfen darauf in Petri-Schalen mit frischem Nährboden und kontrollierte täglich, ob dort kleine Bakterienkolonien wuchsen.

Auch diese musste die Forscherin immer wieder beproben und auf neue Nährböden setzen, um schließlich sortenreine Kolonien mit nur einer Bakterienspezies zu erhalten. Erst dann folgten Genanalysen, das zeitaufwändige Zusammenpuzzeln von Analyse-Abschnitten am Computer, der Abgleich mit internationalen Gen-Datenbanken und das gespannte Warten: Ist es wirklich eine Neuentdeckung?

Laborarbeit überbrückte die Lockdown-Isolation

Für die mexikanische Forscherin bedeutete das viel Zeit im Labor. Der besondere Aufwand war aber auch die Challenge, für die sie nach Deutschland gekommen war: „Für meine Doktorarbeit wollte ich eine Aufgabe, die mich persönlich, professionell und kulturell aus der Komfortzone holt. Den Sprung nach Deutschland empfand ich kulturell als große Herausforderung. Gleichzeitig war die Universität Hohenheim die perfekte Chance, mich in meinem Feld weiter zu entwickeln und ich bin sehr froh, dass ich sie ergriffen habe.“

Gleichzeitig war es die Zeit der Lockdowns und anderer Corona-Beschränkungen. Da war viel Laborarbeit noch der vernünftigste Weg, viel Zeit in der neuen Heimat zu verbringen. Erst seit vergangenem Jahr gönnt sich die 32-jährige Mikrobiologin auch Sightseeing-Touren. „Deutschland ist sehenswert – und ich bin positiv überrascht vom kulturellen Reichtum des Landes und der Leute.“

Feier erst nach mehrfacher Überprüfung

Der Verdacht, dass manche der Bakterienkolonien in ihren Petrischalen bislang unbekannte Bakterien beherbergten, war Dr. Rios Galicia bereits nach einem Jahr gekommen. Doch ihre Doktor-Mütter bestanden auf einem hieb- und stichfesten Nachweis.

Dazu gehörte auch die Prüfung durch Expert:innen von zwei weiteren Bakteriensammlungen, der DSMZ – Deutsche Sammlung von Mikroorganismen und Zellkulturen in Braunschweig und der BCCM/LMG – Belgischen Sammlung für Mikroorganismen in Ghent, Belgien. Und die Veröffentlichung der Forschungsergebnisse in einer internationalen Zeitschrift, bei der alle Artikel vor Erscheinen noch einmal von unabhängigen Fachleuten überprüft werden.

Erst dann erlaubte sich die Arbeitsgruppe auf ihre Neuentdeckung anzustoßen. Natürlich mit Tequila.

HINTERGRUND HoLMiR

Das "Hohenheim Center for Livestock Microbiome Research (HoLMiR)" erforscht die Wechselwirkungen zwischen Nutztieren und den Abermilliarden Mikroorganismen in ihrem Verdauungstrakt, um Tierwohl, -gesundheit und Umweltauswirkungen zu verbessern. Diese Grundlagenforschung könnte die Basis für künftige Anwendungen darstellen und so z.B. zur Reduktion von Antibiotika und der Züchtung robuster, genügsamer Rassen beitragen.

Insgesamt 10 Arbeitsgruppen bündeln die Expertise aus den Bereichen Tierernährung, Mikrobiologie, Genetik, Tierzucht, Verhaltens- und Tierphysiologie, Biostatistik und Bioinformatik. Es bietet europaweit einzigartige Arbeitsbedingungen durch zwei Neubauten mit Tierhaltung und HighTech-Laboren. Bund und Länder fördern das Leuchtturm-Projekt mit insgesamt 54 Mio. €. Die geplante Eröffnung findet im Jahr 2025 statt.

HINTERGRUND: Tierversuche in Hohenheim

Für das Forschungsprojekt wurden Dünndarm-Abschnitte von 16 Hühnern verwendet. Dabei handelt es sich um Tiere, die bereits für ein anderes Forschungsprojekt getötet worden waren, so dass für dieses Projekt keine zusätzlichen Tiere verwendet wurden.

Im Jahr 2022 meldete die Universität Hohenheim insgesamt 5.456 abgeschlossene Tierversuche. 85,3 % der Tierversuche hatten einen leichten Schweregrad wie z.B. Blut abnehmen. 2,9 % hatten einen mittleren und 0,3 % einen hohen Schweregrad. Bei 8,8 % wurden die Versuchstiere getötet, um z.B. Organe zu entnehmen.

Die häufigsten Versuchstiere waren Hühner (68,3 %), gefolgt von Schafen (13,6 %) und Mäusen (11,8 %). Die Statistik für das Jahr 2023 befindet sich in Vorbereitung.

Publikationen

Wissenschaftliche Publikation zum neuen Bakterium im International Journal of Systematic and Evolutionary Microbiology: https://www.microbiologyresearch.org/content/journal/ijsem/10.1099/ijsem.0.006210

Weitere Veröffentlichung zur Methodik: Naithani H, Rios-Galicia B, Camarinha Silva A, Seifert J. (2024) Strategies to enhance cultivation of anaerobic bacteria from gastrointestinal tract of chicken. Journal of Visualized Experiments (JOVE). 10:207, e66570, doi: 10.3791/66570.

Weitere Informationen

Video zum Bakterium: https://www.youtube.com/watch?v=9ks6dADgRQI

Kontakt für Medien

Prof. Dr. Jana Seifert, Universität Hohenheim, Leitung Fachgebiet für Funktionelle Mikrobiologie bei Nutztieren

T +49 711 459 24284, E seifert.jana@uni-hohenheim.de

Prof. Dr. Amélia Camarinha Silva; Universität Hohenheim, Fachgebiet für Mikrobielle Ökologie bei Nutztieren

T +49 711 459 23064, E amelia.silva@uni-hohenheim.de

Zu den Pressemitteilungen der Universität Hohenheim

Text: Klebs

Universität Hohenheim
Pressestelle
70593 Stuttgart
Tel.: 0711 459-22003
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