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Wahlprogramme: kürzer, aber schwer verständlich

Wahlprogramme: kürzer, aber schwer verständlich
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PRESSEMITTEILUNG DER UNIVERSITÄT HOHENHEIM

Bundestagswahl 2025:

Wahlprogramme kürzer als üblich, aber immer noch schwer verständlich

Wahlprogramme im Verständlichkeits-Check: Kommunikationswissenschaftler der Uni Hohenheim analysieren Programme der Parteien zur Bundestagswahl

Nach dem Allzeithoch zur Bundestagswahl 2021 sind die Wahlprogramme 2025 wieder etwas kürzer, so die Auswertung der Universität Hohenheim in Stuttgart. „Hier macht sich die knappere Zeit für den Wahlkampf und seine Vorbereitung bemerkbar“, urteilt Kommunikationswissenschaftler Prof. Dr. Frank Brettschneider. Insgesamt seien die Programme zur aktuellen Wahl etwas verständlicher als 2021. Sie blieben aber nach wie vor nur schwer verständlich. In diesem Jahr erschweren Bandwurmsätze mit bis zu 69 Wörtern (Bündnis Sahra Wagenknecht), Wortungetüme wie „Telekommunikationsnetzausbaubeschleunigungsgesetz“ (FDP) und Fachbegriffe wie „Small Modular Reactors“ (CDU/CSU), „Quick-Freeze“ (Grüne) oder „Catcalling“ (SPD) für viele Laien die Verständlichkeit. Das formal verständlichste Programm legt die CDU/CSU vor, das formal unverständlichste Programm stammt von der AfD. Bündnis Sahra Wagenknecht und die AfD verwenden die populistischste Sprache.

„Damit die Wählerinnen und Wähler eine begründete Wahlentscheidung treffen können, sollten Parteien ihre Positionen klar und verständlich darstellen. Die Wahlprogramme sind dabei ein Mittel, um die eigenen Positionen darzulegen“, sagt der Kommunikationswissenschaftler Prof. Dr. Frank Brettschneider von der Universität Hohenheim.

Mit seinem Team untersuchte der Kommunikationswissenschaftler deshalb die Wahlprogramme zur Bundestagswahl 2025 auf formale Verständlichkeit. Die Analyse ist Teil eines Langzeitprojektes, bei dem seit der Bundestagswahl 1949 alle 90 Wahlprogramme der im Deutschen Bundestag oder in drei Landtagen vertretenen Parteien analysiert werden.

Ein Ergebnis: „Die Wahlprogramme sind etwas kürzer als 2021: durchschnittlich ca. 25.544 Wörter pro Programm“, sagt Prof. Dr. Brettschneider. Bei der ersten Bundestagswahl 1949 waren es noch im Schnitt 5.496 Wörter. Allerdings gibt es bei der Länge der Wahlprogramme große Unterschiede zwischen den Parteien. Traditionell haben die Grünen das längste Wahlprogramm. So auch in diesem Jahr: Mit 30.693 Wörtern ist das Programm der Grünen gut dreitausend Wörter länger als das Programm der SPD. Die kürzesten Programme haben in diesem Jahr das Bündnis Sahra Wagenknecht und die FDP vorgelegt: 17.011 bzw. 19.466 Wörter.

Neben den Langfassungen bieten Parteien in diesem Jahr weniger Versionen ihrer Wahlprogramme an: Kurzfassungen, Audiofassungen, Versionen in leichter Sprache, Themenschwerpunkte und Videos zur Präsentation wichtiger Aspekte in Gebärdensprache sowie Übersetzungen in andere Sprachen. „Die knappe Zeit für die Vorbereitung des Wahlkampfes hat hier das Angebot gegenüber früheren Wahlen eingeschränkt“, so Prof. Dr. Brettschneider.

CDU/CSU am verständlichsten, AfD am unverständlichsten

„Oft lässt die Verständlichkeit der Wahlprogramme zu wünschen übrig“, sagt Prof. Dr. Brettschneider. „2021 waren die Programme aber im Schnitt noch unverständlicher“. Die formale Verständlichkeit der Programme misst das Forschungs-Team mit Hilfe einer Analyse-Software. Die Software zählt unter anderem überlange Sätze, Fachbegriffe und zusammengesetzte Wörter. Anhand solcher Merkmale bildet sie den „Hohenheimer Verständlichkeitsindex“ (HIX). Er reicht von 0 (schwer verständlich) bis 20 (leicht verständlich).

Das formal verständlichste Wahlprogramm zur Bundestagswahl 2025 liefert die CDU/CSU mit 10,5 Punkten auf dem Hohenheimer Verständlichkeitsindex. Den letzten Platz belegt die AfD mit 5,1 Punkten. Auf dem vorletzten Platz liegt das Programm des Bündnis Sahra Wagenknecht mit 6,6 Punkten.

Die Wahlprogramme 2025 erreichen im Schnitt 7,3 Punkte. 2021 lag der Schnitt bei 5,6 Punkten. „Das ist enttäuschend“, urteilt Prof. Dr. Brettschneider. „Denn alle Parteien haben sich in den letzten Jahren Transparenz und Bürgernähe auf ihre Fahne geschrieben. Mit ihren teilweise schwer verdaulichen Wahlprogrammen schließen sie jedoch einen erheblichen Teil der Wählerinnen und Wähler aus und verpassen damit eine kommunikative Chance.“

Im langjährigen Vergleich weist die Union den durchschnittlich besten Verständlichkeits-Wert auf: 7,4 Punkte. Es folgt die SPD mit 7,1 Punkten. Auf dem letzten Platz liegt die Linke mit durchschnittlich 5,1 Punkten.

„Alle Parteien könnten verständlicher formulieren“, ist Prof. Dr. Brettschneider überzeugt. „Das beweisen gelungene Passagen in den Einleitungen und im Schlussteil. Dort erreichen die Parteien meist mehr als 10 Punkte auf dem Hohenheimer Verständlichkeitsindex. Die Themenkapitel sind hingegen das Ergebnis innerparteilicher Expertenrunden. Diesen ist meist gar nicht bewusst, dass die Mehrheit der Wählerinnen und Wähler ihren Fachjargon nicht versteht. Wir nennen das den ‚Fluch des Wissens’.“

Fremdwörter, Anglizismen und Satz-Monster

„Die häufigsten Verstöße gegen Verständlichkeits-Regeln sind Fremdwörter und Fachwörter, zusammengesetzte Wörter und Nominalisierungen, Anglizismen sowie lange Sätze und Schachtelsätze“, sagt Dr. Claudia Thoms, Verständlichkeits-Forscherin an der Universität Hohenheim. Verstehen alle Wählerinnen und Wähler den Inhalt, wenn die Grünen und die FDP von „Quick-Freeze“ reden? Oder die CDU/CSU von „Smart Breeding“, die AfD von „Opt-Outs“, Die Linke von „Konsumutensilien“, die SPD von „Catcalling“ oder das BSW von „Depublizierungspflicht“?

Darüber hinaus erschweren lange, zusammengesetzte Wörter die Lesbarkeit der Wahlprogramme: „Quellen-Telekommunikationsüberwachung“ (CDU/CSU), „Telekommunikationsnetzausbaubeschleunigungsgesetz“ (FDP), „Wirtschaftspartnerschaftsabkommen“ (Linke).

In allen Wahlprogrammen finden sich Verstöße gegen Verständlichkeits-Regeln. „Neben den Fremdwörtern, Anglizismen und Fachbegriffen sind es auch die Bandwurmsätze, die die Wahlprogramme so unverständlich machen“, sagt Dr. Claudia Thoms. „Wir haben in allen Wahlprogrammen solche Satz-Ungetüme mit teilweise mehr als 40 Wörtern gefunden.“ Am längsten sei ein Satz aus dem BSW-Programm: Er besteht aus 69 Wörtern.

Unverständliche Wahlprogramme – eine verschenkte Kommunikationschance

Prof. Dr. Brettschneider betont jedoch: „Die von uns gemessene formale Verständlichkeit ist natürlich nicht das einzige Kriterium, von dem die Güte eines Wahlprogramms abhängt. Deutlich wichtiger ist der Inhalt. Unfug wird nicht dadurch richtig, dass er formal verständlich formuliert ist. Und unverständliche Formulierungen bedeuten nicht, dass der Inhalt falsch ist. Formale Unverständlichkeit stellt aber eine Hürde für das Verständnis der Inhalte dar.“

Aber: Mit der formalen Unverständlichkeit verschenken die Parteien eine Kommunikationschance bei den Bürgerinnen und Bürgern, stellt Prof. Dr. Brettschneider fest. „Obwohl nur sehr wenige Menschen die Wahlprogramme komplett und intensiv durchlesen, sollen Wahlprogramme eigentlich dazu dienen, Wählerinnen und Wähler zu gewinnen oder zu halten.“

Aus den Programmen leiten sich außerdem andere Kommunikationsmittel ab, die für eine Wahl wichtig sind, wie Wahlplakate, Homepage und Broschüren. „Selbst wenn die Wählerinnen und Wähler nicht das gesamte Programm lesen, so schauen sich einige von ihnen doch zumindest die Passagen an, die sich auf Themen beziehen, die ihnen wichtig sind“, sagt Prof. Dr. Brettschneider.

Neben der Funktion, Wählerinnen und Wähler zu halten oder neue zu gewinnen, sind die Programme auch innerhalb der Partei von Bedeutung, betont der Kommunikationsexperte. „Während der Arbeit am Programm klären die Mitglieder innerparteiliche Positionen und bündeln verschiedene Interessen. Der Parteiführung dient das Programm nach der Wahl als Grundlage für Koalitionsverhandlungen oder für die Arbeit in der Opposition. Entgegen landläufigen Behauptungen halten sich Parteien nach den Wahlen auch häufig an ihre Programm-Aussagen.“

Populistische Sprache bei BSW und AfD am häufigsten

Außerdem haben die Hohenheimer Forscherinnen und Forscher die Verwendung populistischen Vokabulars untersucht. Dabei verwendeten sie die Anti-Elitismus-Dimension von Rooduijn und Pauwels (2011), die sie mithilfe eines Sprachmodells untersuchen.

Demnach weisen die aktuellen Programme im Verhältnis zu früheren Wahlen einen mittleren Grad an sprachlichem Populismus auf: 3,5 Prozent der Sätze aus den Wahlprogrammen werden von dem Modell als „anti-elitistisch“ klassifiziert. Sprachlich am populistischsten schreibt 2025 das Bündnis Sahra Wagenknecht mit 9,3 Prozent anti-elitistischen Sätzen, gefolgt von der AfD mit 7,1 Prozent sowie der Links-Partei mit 5,5 Prozent.

Die im Schnitt seit 1949 am wenigsten populistischen Wahlprogramme schreiben die Unions-Parteien (2,2 %) und die FDP (2,1 %). Das dürfte vor allem daran liegen, dass sie besonders häufig an Regierungen beteiligt waren und insofern häufig die politische Elite darstellten, die mit dem von den Forschenden gemessenen Anti-Elitismus kritisiert wird.

„In der Langzeitbetrachtung sind Parteien mit zunehmenden Alter eher weniger anti-elitistisch geworden. Das beste Beispiel hierfür sind die Grünen, deren Wahlprogramm 1983 einen Anteil anti-elitistischer Sätze von 8,9 Prozent aufweist. Dieser Anteil ist über die Jahre stetig gesunken und liegt heute bei 0,6 Prozent“, sagt Dr. Claudia Thoms.

HINTERGRUND: Hohenheimer Verständlichkeits-Analysen

Das Fachgebiet für Kommunikationswissenschaft, insbesondere Kommunikationstheorie, an der Universität Hohenheim untersucht seit 19 Jahren die formale Verständlichkeit zahlreicher Texte: Wahlprogramme, Medienberichterstattung, Kunden-Kommunikation von Unternehmen, Verwaltungs- und Regierungskommunikation, Vorstandsreden von DAX-Unternehmen.

Möglich werden diese Analysen durch die Verständlichkeits-Software „TextLab“. Die Software wurde von der H&H CommunicationLab GmbH in Ulm und von der Universität Hohenheim entwickelt. Sie berechnet verschiedene Lesbarkeitsformeln sowie Textfaktoren, die für die Verständlichkeit relevant sind (z. B. Satzlängen, Wortlängen, Schachtelsätze). Daraus ergibt sich der „Hohenheimer Verständlichkeitsindex“. Er bildet die Verständlichkeit von Texten auf einer Skala von 0 (schwer verständlich) bis 20 (leicht verständlich) ab. Zum Vergleich: Doktorarbeiten in Politikwissenschaft haben eine durchschnittliche Verständlichkeit von 1,2 Punkten. Haushaltsreden im Deutschen Bundestag kamen 2023 im Schnitt auf 15,0 Punkte.

Kontakt für Medien

Prof. Dr. Frank Brettschneider, Universität Hohenheim, Fachgebiet Kommunikationswissenschaft

T 0711 459 24030, E frank.brettschneider@uni-hohenheim.de

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