"Verlagerung der Corona-Bekämpfung nach unten"
Der frühere Bundespräsident Christian Wulff hält Eigenverantwortung für "mindestens so wichtig wie gesetzliche Vorgaben".
Berlin (ots)
Der frühere Bundespräsident Christian Wulff hat dafür geworben, in der Corona-Krise die Demokratie zu stärken; Wulff warnte vor zu viel staatlichem Paternalismus. Demokratie, so meinte Wulff, "kann und darf nicht heißen, das machen die da oben schon". Bei der Corona-Bekämpfung sei die Demokratie angewiesen auf die Eigenverantwortung der Bürgerinnen und Bürger, sagte Wulff jetzt in einem Podcast-Gespräch mit den Journalisten Kerstin Humberg und Heribert Prantl. Das Gespräch fand im Rahmen der neuen Podcast-Reihe "Woran glaubst Du?" der Audio Alliance statt und ist bei AUDIO NOW abrufbar.
Der frühere Bundespräsident mahnte eine "Verlagerung" der Corona-Bekämpfung "nach unten" an. Solche Eigenverantwortung sei, so Wulff, "mindestens so wichtig wie gesetzliche Vorgaben". Zur Eigenverantwortung gehöre eine gewisse soziale Kontrolle, etwa bei der Einhaltung von Abständen, aber kein Denunziantentum.
Im Hinblick auf Extremisten unter Corona-Demonstranten meinte Wulff: "Demokratie ist, wenn sie angegriffen wird, die schwächste aller Staatsformen, weil sie die Rechte der Demokratie wie Meinungsfreiheit, Presse- und Demonstrationsfreiheit auch den Gegnern der Demokratie gibt". Sie sei deshalb darauf angewiesen, dass die Demokraten sich für die Demokratie engagieren.
Wulff war im Februar 2012 wegen des Vorwurfs der Vorteilsannahme zurückgetreten, der sich später vor Gericht als haltlos herausstellte. In seiner eineinhalbjährigen Amtszeit als Bundespräsident war er vor allem mit seiner Feststellung "Der Islam gehört inzwischen auch zu Deutschland" hervorgetreten und angefeindet worden. Wulff beklagte nun, dass in den Volksparteien oft der Mut gefehlt habe, "deutlich zu machen, welche positiven Impulse Menschen mit Zuwanderungsgeschichte bringen, wie sie unser Land bereichern, wie wir auf sie angewiesen sind, wie wir durch sie Erfolge haben". Deutschland, so der frühere Bundespräsident, "sollte sich ehrlich machen, dass wir ein Land der Ein- und Auswanderung sind".
Wulff erklärt: "In der aktuellen Corona-Krise sehen wird an allen Ecken und Enden, wie wir auf Menschen mit Zuwanderungsgeschichte angewiesen sind". Wulff verwies besonders auf die Altenpflege, auf das Gesundheitssystem, auf die Post- und Paketzustellung, auf den Einzelhandel. Die Gesellschaft in Deutschland müsse lernen, ein "neues Wir zu leben". Um Parallelgesellschaften zu vermeiden, müsse man aufeinander zugehen.
Wulff sprach sich allerdings dagegen aus, einen muslimischen Feiertag zum staatlichen Feiertag in Deutschland zu erklären. Er wandte sich auch gegen öffentliche Muezzin-Rufe in Deutschland - "weil einfach das Verhältnis von Mehrheit zu Minderheit völlig eindeutig" sei. Wulff wies auch darauf hin, dass die Muezzin-Rufe in islamischen Ländern oft verknüpft seien mit Feindseligkeit gegenüber anderen Religionen. Es sei gleichwohl "ein großartiges Zeichen" gewesen, dass seine Heimatstadt Osnabrück in der Corana-Zeit ausnahmsweise den öffentlichen Muezzin-Ruf zum Ramadan erlaubt habe. Wulff wünschte sich, dass der Islam sich theologisch weiterentwickelt - auch hin zu mehr Toleranz gegenüber anderen Religionen.
Wulff warb für mehr politische Gespräche in den Familien. Er wünscht sich dort Debatten mit den Kindern darüber, zum Wählen zu gehen, sich wählen zu lassen und in eine Partei einzutreten. Zur Erziehung gehöre auch die Erkenntnis: "Ein Stück deiner Zeit, deines Lebens musst du einbringen für die Demokratie".
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