Der Tagesspiegel: Gauck kritisiert Wallraff für dessen Zusammenarbeit mit den DDR-Behörden
Berlin (ots)
Der frühere Leiter der Stasi-Unterlagenbehörde, Joachim Gauck, wirft dem Schriftsteller Günter Wallraff vor, sich "allzu vertraut mit den Vertretern eines Zwangs- und Unterdrückungsregimes an den Tisch gesetzt zu haben". Gauck sagte dem "Tagesspiegel am Sonntag", es sei kaum zu glauben, dass ein scharfsinniger Analytiker wie Wallraff "in den Osten ging wie ein Bub vom Land, mit großen Kulleraugen, und darauf wartete, Bonbons im Sinne von Informationen von der Stasi zu bekommen". Er fände es interessant, wie Wallraff sich selbst der Naivität bezichtige.
Gauck sprach sich dagegen aus, die Rosenholz-Dateien mit ihren Angaben über die westdeutschen Mitarbeiter der Stasi zu einer flächendeckenden Überprüfung des öffentlichen Dienstes in der alten Bundesrepublik zu nutzen. Für eine Überprüfung brauche man gute Gründe, da sie immer ein Eingriff in persönliche Rechte des Bürgers sei. Die Ausgangslage sei im Osten anders gewesen. Es sei im Westen wenig sinnvoll, Millionen von Menschen zu überprüfen, um ein Promille Verstrickter zu finden. Generell sei ein West-IM "besonders verachtungswürdig", weil er ohne Not mit den Unterdrückern gemeinsame Sache gemacht habe.
Das Urteil des Berliner Verwaltungsgericht zur grundsätzlichen Freigabe der Stasi-Akten von Helmut Kohl interpretierte Gauck als Bestätigung, dass es bei der Auf-arbeitung der Unterlagen" im Wesentlichen so weitergehen kann wie es angefangen hat". Es müsse aber in jedem Einzelfall bewertet werden, ob die Persönlichkeits- rechte des Betroffenen oder das öffentliche Interesse an der Aufklärung Vorrang hätten. Gauck sprach sich im Gespräch mit der in Berlin erscheinenden Zeitung für die Einrichtung eines Zentrums gegen Vertreibung in Berlin aus. Es gebe kein Land, dass sich so selbstkritisch wie Deutschland mit seiner Geschichte auseinandergesetzt habe. In Deutschland existiere auch keine Kraft mehr, die auf Revanchismus aus sei. Das Schicksal der Vertriebenen gehöre in das kollektive Gedächtnis der Nation und die Initiative für eine Gedenkstätte müsse von der ganzen Nation getragen werden.
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