Der Tagesspiegel: Früherer UN-Berichterstatter für Sudan, Gerhart Baum, hält aktuelle Krise in Darfur für Völkermord
Berlin (ots)
Der frühere UN-Berichterstatter für Sudan, der FDP-Politiker Gerhart Baum, hält die aktuelle Krise in Darfur für einen Völkermord. "In meinen Augen ist das, was dort geschieht, Völkermord." Verantwortlich für das Verbrechen sei auch die Regierung: "Außenminister Ismail hat sich durch eine ständige Verharmlosung der Situation und durch eine Täuschung seiner Gesprächspartner mitschuldig gemacht. Im Grunde verfolgt die gesamte Führung in Khartum eine Politik der ethnischen Säuberung", sagte Baum dem Tagesspiegel. Er fordert die EU auf, im Sicherheitsrat der UN für Sanktionen gegen Khartum zu kämpfen und plädiert außerdem für die Entsendung einer UN-Blauhelmtruppe. "Die Europäer müssten bei den UN klar von einem Völkermoird sprechen, damit sich dort endlich etwas bewegt. Ich spreche nicht von einem Militäreinsatz, aber wir brauchen in Sudan Blauhelme, die die Zivilbevölkerung schützen. Das können Afrikaner sein, aber auch Europäer sollten dazugehören. Über kurz oder lang werden wir ohnehin eingreifen müssen. Warum tun wir das Notwendige nicht so rechtzeitig, dass wir noch Menschen retten können." Die EU sollte ferner über eigene Sanktionen nachdenken. uls
Das Interview im Wortlaut
Alle Appelle an die Regierung Sudans, die arabischen Milizen zu stoppen, waren vergeblich. Warum zögert die Weltgemeinschaft, Sanktionen zu verhängen? Es ist ein Skandal, dass die UN-Generalversammlung Israel wegen seines Sperrwalls verurteilt und zur Krise in Sudan schweigt. Khartum hält die Welt seit Monaten hin. Und die Lage verschlimmert sich weiter. Täglich sterben Menschen. Die Afrikanische Union hat die Situation nicht im Griff.
Warum bleiben die UN so zahm? Es gibt eine Gruppe von Staaten, die den Sicherheitsrat daran hindern, wirkungsvolle Beschlüsse zu fassen. Zu dieser Gruppe gehören islamisch-arabisch-afrikanische Staaten, aber auch die Vetomächte Russland und China. Viele dieser Länder fürchten, selbst wegen Menschenrechtsverletzungen angeprangert zu werden. Andere haben wirtschaftliche Interessen in Sudan, China beispielsweise bezieht Öl von dort.
Wie kann man die Blockade überwinden? Der Schlüssel liegt bei der EU. Wenn sich die Außenminister am kommenden Montag treffen, müssen sie ihren kürzlich gefassten Beschluss umsetzen. Darin wurden konkrete Forderungen an die Regierung in Khartum formuliert, die alle nicht erfüllt worden sind. Für diesen Fall hat die EU weitere Maßnahmen angekündigt. Jetzt müssen die Europäer mit einer klaren Strategie in den UN- Sicherheitsrat gehen und dort für Sanktionen kämpfen. Gleichzeitig sollten sie über eigene Sanktionen nachdenken.
Wie könnten diese aussehen? Wichtig ist vor allem ein Waffenembargo, und zwar nicht nur gegen die Milizen, sondern auch gegen die Regierung. Russland beispielsweise will gerade MIG-Kampfflugzeuge an Sudan liefern. Auch Flugverbote und eine Flugüberwachung sollten beschlossen werden. Und es muss eine Untersuchungskommission eingerichtet werden. Die Namen vieler Täter sind bekannt. Darunter sind Vertreter der Regierung. Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch hat die Verstrickung des Regimes klar belegt.
Können Sie Namen nennen? Außenminister Ismail hat sich durch eine ständige Verharmlosung der Situation und durch eine Täuschung seiner Gesprächspartner mitschuldig gemacht. Im Grunde verfolgt die gesamte Führung in Khartum eine Politik der ethnischen Säuberung. In meinen Augen ist das, was dort geschieht, Völkermord.
Das sehen die Verantwortlichen in Europa wie bei den UN bisher anders. Hier spricht niemand von einem Völkermord. Weil es sie zwingen würde, einzugreifen. Das hat die Völkergemeinschaft so nach dem Zweiten Weltkrieg vereinbart. Gerade wir Deutsche haben allen Grund, dies ernst zu nehmen. Die Europäer müssten bei den UN klar von einem Völkermord sprechen, damit sich dort endlich etwas bewegt. Ich spreche nicht von einem Militäreinsatz, aber wir brauchen in Sudan Blauhelme, die die Zivilbevölkerung schützen. Das können Afrikaner sein, aber auch Europäer sollten dazugehören. Über kurz oder lang werden wir ohnehin eingreifen müssen. Warum tun wir das Notwendige nicht so rechtzeitig, dass wir noch Menschen retten können? Das Gespräch führte Ulrike Scheffer.
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