Stellungnahme von Bischof Dr. Georg Bätzing zur Debatte um die rechtliche Regelung des Schwangerschaftsabbruchs
Bonn (ots)
Heute (5. Dezember 2024) findet die 1. Lesung des überfraktionellen Gesetzentwurfes zur Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs und des Antrags zur Verbesserung der Versorgungslage von ungewollt Schwangeren im Deutschen Bundestag statt. Dazu erklärt der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Bischof Dr. Georg Bätzing:
"Die gesetzliche Regelung des Schwangerschaftsabbruchs ist ein komplexes Thema. Dass der erst nach dem Bruch der Bundesregierung eingebrachte Gesetzentwurf zur Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs und der Antrag mit der Überschrift 'Versorgungslage von ungewollt Schwangeren verbessern' nun zwischen Vertrauensfrage und Neuwahlen im Deutschen Bundestag behandelt und zum Gegenstand des Wahlkampfs gemacht werden sollen, ist dem Thema nicht angemessen.
Ungewollt schwangere Frauen befinden sich in einer sehr schwierigen Situation. Ihre Grundrechte sind angemessen zu wahren und sie verdienen die explizite Unterstützung von Staat und Gesellschaft durch Rat, Tat und Hilfe. Druck von außen, wirtschaftlicher Zwang oder soziale Not dürfen in einer Entscheidung für oder gegen eine Schwangerschaft nicht den Ausschlag geben. Das ungeborene Kind, das eine schwangere Frau in sich trägt, ist von diesem Konflikt existenziell betroffen. Staat und Gesellschaft müssen daher ihrer Schutzpflicht nachkommen, auf deren Wahrnehmung das Kind lebensentscheidend angewiesen ist.
Der vorgelegte Gesetzentwurf betont zu Recht die grundrechtliche Stellung der Frau. Zu der grundrechtlichen Position des ungeborenen Lebens verhält er sich hingegen nicht ausdrücklich. Er führt stattdessen an, dass es einer Neubewertung der verfassungsrechtlichen Situation bedürfe. Dabei verweist er auf bestimmte Stimmen im verfassungsrechtlichen Schrifttum und auf den Kommissionsbericht, die das vollwertige Lebensrecht des ungeborenen Kindes von Anfang an und als Träger der Menschenwürde infrage stellen. Den Entwurfsverfassern ist vorzuhalten, hier ihre eigene Position nicht klar zu benennen. Wird der Entwurf verabschiedet, besteht die erhebliche Gefahr, dass ein abgestuftes Lebensschutzkonzept in die Gesetzgebung Eingang findet, das auch Auswirkungen auf andere Rechtsbereiche hat. Dies wäre ein hoch problematischer verfassungsrechtlicher und ethischer Paradigmenwechsel.
Im Ergebnis nimmt der Entwurf den Schutz des ungeborenen Lebens dann gegenüber der geltenden Regelung auch deutlich zurück. Neben der Verortung außerhalb des Strafrechts darf nach dem Entwurf die Beratung, an der zu Recht festgehalten wird, nicht mehr daran orientiert sein, zur Fortsetzung der Schwangerschaft zu ermutigen. Das aber war ein wesentlicher Baustein des geltenden Rechts zur Umsetzung der staatlichen Schutzpflicht, ohne dabei - so sagt es heute schon das Gesetz - belehrend oder bevormundend zu sein. Hält sich die Schwangere nach dem Entwurf nicht an die Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen und verstößt beispielsweise gegen die Beratungspflicht, bleibt sie auch dann straffrei. Verstoßen Ärzte gegen ihre verfahrensrechtlichen Verpflichtungen, ist dies nur noch eine Ordnungswidrigkeit.
Es wäre wichtig, die politische und gesellschaftliche Debatte, der Komplexität des Themas angemessen, mit mehr Zeit und differenzierter zu führen. Es geht nicht darum, Frauen, die einen Abbruch erwägen, zu kriminalisieren oder stigmatisieren. Dass die §§ 218 ff. des Strafgesetzbuchs dies bewirken würden, ist ein Narrativ, das die geltende Regelung zum Schwangerschaftsabbruch verzerrend abbildet. Denn diese Regelung setzt schon heute auf die Letztentscheidung der Frau und basiert auf dem Prinzip 'Hilfe statt Strafe'. Sie beinhaltet keine Kriminalisierung des individuellen, beratenen Schwangerschaftsabbruchs. Die Verortung im Strafrecht dient vielmehr dazu, das Bewusstsein vom verfassungsrechtlichen Rang des Rechtsguts des ungeborenen Lebens wachzuhalten. Die geltende Regelung ist auch mit den völkerrechtlichen Anforderungen zum Schutz von Selbstbestimmung und Gesundheit der Frau vereinbar. Selbstverständlich dürfen Frauen nicht ohne eine ausreichende medizinische Versorgung sein. Die derzeitige Datenlage lässt aber gerade nicht den Schluss zu, die medizinische Versorgungslage sei einfach schlecht oder es bestehe eine Kausalität zwischen der geltenden Regelung des Schwangerschaftsabbruchs in den §§ 218 ff. Strafgesetzbuch und der Versorgungslage. Hierauf haben auch Mitglieder innerhalb der Kommission explizit hingewiesen. In Deutschland gibt es laut Statistik prozentual weniger Abtreibungen als in anderen europäischen Ländern. Das deutet darauf hin, dass dem geltenden legislativen Schutzkonzept durchaus eine Wirkung zum Schutz des ungeborenen Lebens zukommt.
Dies alles verdeutlicht, dass der Bundesgesetzgeber in der derzeitigen politischen Ausnahmesituation vor bevorstehenden Neuwahlen keine so grundlegende Reform durchpeitschen sollte. Die angesprochenen grundsätzlichen Fragen bedürfen einer sachlichen Erörterung in einem normalen parlamentarischen Verfahren, in dem ausreichend Zeit für den gesellschaftlichen Diskurs und eine angemessene Auseinandersetzung außerhalb und innerhalb des Deutschen Bundestags bleibt."
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