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Börsen-Zeitung: Das System wankt, Kommentar zur eskalierenden Finanzkrise von Bernd Wittkowski

Frankfurt (ots)

Apokalypse? Endzeit? Weltuntergang? Oder "nur"
eine eskalierende Finanzkrise? Es fällt zunehmend schwer, das 
Geschehen in der deutschen und der internationalen Bankenwelt zum 
fairen Wert einzuordnen, ohne einerseits zu verharmlosen oder 
andererseits Panik zu schüren. Von Tag zu Tag, mit jeder Drehung der 
Krisenspirale, werden die Superlative des Schreckens knapper. Binnen 
24 Stunden muss eine Public Private Partnership von Steuerzahlern und
Banken mit Liquiditätshilfen und Bürgschaften in der unbegreiflichen 
Höhe von 35 Mrd. Euro die Hypo Real Estate auffangen, werden die 
britische Hypothekenbank Bradford & Bingley voll und der 
belgisch-niederländische Allfinanzriese Fortis zur Hälfte 
verstaatlicht - Kleinkram wie die Übernahme der angeschlagenen 
US-Großbank Wachovia durch Citi oder die Rettung der isländischen 
Bank Glitnir mit öffentlichen Geldern ist da kaum der Rede wert: Gibt
es noch ein Morgen? Und, falls ja, welche Katastrophe kommt als 
nächste?
Wer heute wesentlich jünger ist als 90 Jahre, 1931 und die 
Folgejahre in ihrer ökonomischen und politischen Bedeutung also noch 
nicht bewusst wahrgenommen hat, steht fassungslos vor den - subjektiv
- historisch beispiellosen Entwicklungen, die er erlebt. Wer die 
Geschichte aber immerhin aus Büchern oder Erzählungen der Altvordern 
kennt, der ahnt, auf welch schmalem Grat wir uns bewegen und welche 
Verantwortung das für das Krisenmanagement der Politik, der 
Finanzaufsicht und der Banken selbst bedeutet. Denn - es hilft ja 
nichts, sich selbst und der Öffentlichkeit etwas vorzumachen - man 
ist geneigt, 1931 zu assoziieren: Liquiditätskrise der Danatbank, Run
auf die Banken, Notregime für das Kreditgewerbe, Einlagengarantie der
Reichsregierung, Stützung und weitgehende Verstaatlichung aller 
Großbanken, politische und wirtschaftliche Destabilisierung.
Eingreifen ohne Alternative
Natürlich gibt es enorme Unterschiede zwischen damals und heute, 
etwa in der Entstehungsgeschichte der Krise. Aber es gibt eben auch 
manch beängstigende Parallele. Insofern scheint das entschlossene 
Eingreifen der Regierungen wie jetzt in Deutschland, den 
Benelux-Staaten oder Großbritannien jedenfalls im Grunde 
alternativlos zu sein. Man sollte sich einmal vor Augen halten, dass 
die Hypo Real Estate zur Jahresmitte Kundenverbindlichkeiten von rund
26 Mrd. Euro in den Büchern hatte und was es für einen schon durch 
den Fall Lehman Brothers extrem strapazierten Einlagensicherungsfonds
bedeutete, gäbe es im aktuellen Fall keine gemeinsame Stützungsaktion
von Bund und Banken. Noch ist das Finanzsystem zwar nicht gefallen. 
Doch es wankt und droht die Realwirtschaft zu erschüttern.
Bleiben wir an dieser Stelle bei der Lage in Deutschland. Noch vor
kurzem wähnte sich die Hypo Real Estate von der seit über einem Jahr 
grassierenden Finanzkrise angeblich so gut wie nicht betroffen und 
sah sich eher auf der Seite der Krisengewinner. Dreiste Lüge oder 
fatale Fehleinschätzung? Für die in Hauptverantwortung von 
Vorstandschef Georg Funke und vom Aufsichtsratsvorsitzenden Kurt 
Viermetz zu ziehenden Konsequenzen macht das keinen Unterschied: Sie 
müssen abtreten. Diese Bank und ihre Führung haben den Kredit 
verspielt - im doppelten Wortsinn.
Apokalypse genug
Doch es waren nicht nur mangelhafte Transparenz und miserable 
Kommunikation, die den Münchenern zum Verhängnis wurden. Die Hypo 
Real Estate hat sich im vorigen Jahr mit der mehr als 5 Mrd. Euro 
schweren Übernahme der einst ins Steuerparadies Irland geflüchteten 
Depfa Bank übernommen. Und die Verantwortlichen haben zugesehen, wie 
das Management des Staatsfinanzierers den dümmsten und spätestens 
seit Münemann, dem Erfinder der Methode "aus kurz mach lang", 
bekanntesten Fehler beging, den eine Bank begehen kann: langfristig 
Kredit vergeben und kurzfristig refinanzieren. Das geht so lange gut,
wie die Zinskurve nicht invers und der Zugang zu Liquidität nicht 
verstopft ist. Offenbar hat nicht einmal der jüngst mit einem Viertel
(zu 22,50 Euro je Aktie) bei der Hypo Real Estate eingestiegene 
Finanzinvestor J. Christopher Flowers, dessen Due Diligence doch 
stets als Gütesiegel der betroffenen Bank galt, gemerkt, was da lief.
Die Hypo Real Estate und ihre Führung sind formidabel gescheitert 
- in ebenso flagranter maßloser Selbstüberschätzung wie Fortis, die 
sich an den mitten in der Finanzkrise erworbenen Teilen von ABN Amro 
verhoben hat. Die Münchener werden das auch aus Sicht führender 
Banker so unverständliche wie unverzeihliche Fehlverhalten mit dem 
Verlust ihrer Existenz als Bank bezahlen: "Geordnete Abwicklung" 
(Peer Steinbrück) ist angesagt. Was sonst? Banken leben von 
Vertrauen. Doch wer sollte der Hypo Real Estate noch vertrauen? 
Zuerst wird man die Depfa eindampfen. Den verbleibenden Rest werden 
anschließend unweigerlich die Zweifel der Investoren und des 
sonstigen Publikums zerfressen. Das Mitleid hält sich in Grenzen. 
Umso mehr möchte man sich an die Hoffnung klammern, dass wir nicht 
noch viel tiefer fallen. Es reicht auch so längst an Apokalypse.

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