Börsen-Zeitung: Ende der Schonzeit, Kommentar zu den Finanzmarktregulierungsplänen von EU-Kommissar Michel Barnier, von Detlef Fechtner.
Frankfurt (ots)
Lange schien es so, als würde sich die EU-Kommission letztlich doch nicht an die heikle Aufgabe herantrauen, EU-weite Regeln für eine geordnete Abwicklung wankender Banken vorzuschlagen. Mal hieß es, eine solche Vorsorge würde nur noch mehr Anleger verschrecken. Schließlich müssten dann Liquidationen im Detail vorbereitet werden. Wer aber wagt es, auf europäischer Ebene Beerdigungen zu planen - noch dazu, wenn gerade einige Beteiligte ohnehin kränkeln? Ein anderer Einwand lautete, die Investoren könnten verwirrt werden, weil sie die Insolvenzregeln fälschlicherweise nicht nur auf Banken, sondern auch auf Staaten bezögen. Daher wurde der EU-Vorschlag immer wieder verschoben. Auf Juli, auf September, auf Oktober, auf November. Nun aber scheint EU-Kommissar Michel Barnier die Sache nicht länger verzögern zu wollen.
Das ist kein Zufall. Die EU-Behörde, die seit Monaten über vielen Vorgaben für den Finanzmarkt brütet - Ratingagenturen, Wirtschaftsprüfer, Börsenorganisation, Insiderhandel - bekommt von allen Seiten Dampf und soll liefern. In Sichtweite von Barniers Büro campieren Demonstranten, die ihn auffordern, die Zügel für die Banken noch viel, viel enger zu ziehen. Neben dem Druck der Straße bekommt Barnier zudem die Ungeduld der Märkte zu spüren. Die Investoren, so berichten EU-Beamte, hätten selbst großes Interesse, endlich Sicherheit zu haben, dass es Pläne für Banken-Notfälle gibt und sie nicht, wie bei Dexia, erst wieder mit heißer Nadel gestrickt werden müssen.
Die Institute sollten gewarnt sein. Sie können nicht mehr darauf setzen, dass die EU-Regulierung so sehr verzögert und verwässert wird, bis sie sowieso prima damit leben können. Mitte November kommen die Vorschläge für die geordnete Abwicklung. Und bis Jahresende soll die EU-Kapitalrichtlinie zu Basel III in Ratsausschüssen diskutiert werden. Spätestens dann sind diese beiden zentralen Bausteine der neuen EU-Bankenregeln politisch auf dem Weg.
Gewiss, das mag noch nicht viel heißen. Denn früher musste man nicht jede Ansage aus Brüssel für voll nehmen, weil es pfiffige Lobbyisten meist schafften, die Gesetzesvorschläge im Laufe des Verfahrens zu entschärfen. Aber dieses Mal ist einiges anders. Die Banken haben derzeit wenig Verbündete, die sich offen für ihre Interessen starkmachen. Daher sollte keine Bank mehr damit kalkulieren, dass die Steuerzahler sie ja doch wieder rauspauken müssen. Spätestens, wenn die Insolvenzregeln europäisches Recht werden, rückt das Ende der Schonzeit näher.
(Börsen-Zeitung, 18.10.2011)
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