Börsen-Zeitung: Zinswende überfällig, Kommentar von Christian Burckhardt zum geldpolitischen Kurs der EZB
Frankfurt (ots)
Same procedure as last year, Mr. Jean-Claude Trichet? Bleibt die Europäische Zentralbank (EZB) ein weiteres Jahr auf ihrem extrem expansiven (O-Ton: Bundesbankchef Axel Weber) geldpolitischen Kurs? Wird sie weiter Monat für Monat vor mittelfristigen Inflationsrisiken warnen, ohne vorausschauend dagegen vorzugehen? Darauf sollte EZB-Präsident Trichet übermorgen nach dem ersten Treffen des EZB-Rats im neuen Jahr mit einem klaren No antworten.
Doch eine derart klare Ansage für 2005 käme überraschend. Trichet wird vielmehr wie zum Jahresauftakt 2004 keinen Handlungsbedarf feststellen und die Erwartung einer Inflation mit sinkender Tendenz auf mittlere Sicht bekräftigen. So wie 2004 diese Erwartung infolge der strukturellen Zähigkeit der Euroland-Inflation und des Ölpreisschubs enttäuscht wurde die Jahresteuerung lag bei 2,1% und nicht bei 1,6% , so dürfte die EZB auch 2005 ihr Preisstabilitätsziel von unter, aber nahe 2% wahrscheinlich erneut verfehlen, zum sechsten Mal in Folge. Dazu muss die Konjunktur etwas stärker als vorhergesagt anziehen, der Dollar dank der höheren US- Zinsen und der besseren Wachstumsaussichten in den USA noch etwas gegenüber dem Euro aufwerten und der Ölpreis deutlich über 40 Dollar je Barrel (Brent) verharren ein Szenario, das nicht unwahrscheinlich ist.
Die EZB kann jedoch wegen der langen Wirkungsverzögerung von Zinsänderungen die Teuerung 2005 ohnehin kaum mehr beeinflussen. Die Notenbank muss nun bestrebt sein, die zinspolitische Weiche auf Restriktionskurs zu stellen, um die Inflationserwartungen zu begrenzen. Wenn der Rat nicht an die EZB-Expertenprognose von 2,2% Wachstum für 2006 glaubt, sollte er dies und die Konjunktur- Abwärtsrisiken deutlich betonen. Wenn doch, muss er handeln.
Ein Leitzins von 2%, der niedrigste seit 50 Jahren, passt nicht mehr zu einer fast auf Potenzialpfad expandierenden Wirtschaft und einer realen Überschussliquidität von 6%, der höchsten seit über 20 Jahren. Die Zinswende ist überfällig. Je länger die EZB wartet, desto größer werden die Zweifel an ihrem Stabilitätswillen, desto mehr Potenzial für die Verbraucher- und/oder Vermögenspreisinflation erzeugt sie. Der Rat sollte sich deshalb einen Ruck geben und die Märkte darauf vorbereiten, dass es für den Zins nur noch einen Weg gibt: den nach oben.
(Börsen-Zeitung, 11.1.2005)
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