Börsen-Zeitung: Die Kapitulation, Kommentar von Claus Döring zur Ablösung von Werner Seifert an der Führungsspitze der Deutschen Börse
Frankfurt (ots)
Das vor Wochen noch Undenkbare ist Wirklichkeit geworden: Angelsächsische Hedgefonds heben die Führungsspitze der Deutschen Börse aus dem Sattel. Dass Aufsichtsratsvorsitzender Rolf-E. Breuer nicht sofort den Bettel hinwirft, sondern um der Sache willen um eine geordnete Übergabe bemüht ist, ändert nichts an der grundlegenden Dramatik dieses Vorgangs. Denn der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Börse, dem der Aktionärsaufstand in erster Linie galt, hat die Segel gestrichen. Für die opponierenden Aktionäre unter Führung des Hedgefonds TCI und Schützenhilfe institutioneller Investoren wie Fidelity ist die Kapitulation der Börse-Führung der letzte Sieg in einer Reihe von Schlachten, die in den zurückliegenden Wochen geschlagen wurden.
Den ersten Sieg verzeichneten die angelsächsischen Aktionäre mit dem erzwungenen Verzicht der Deutschen Börse auf die Übernahme der London Stock Exchange. Der zweite Sieg war der Schwenk des Börse- Vorstands in der Ausschüttungsfrage, womit die Forderung der Opponenten nach Auskehrung der für die LSE-Übernahme angesammelten Kriegskasse weitgehend erfüllt wurde. Binnen zwei Jahren will die Börse 1,5 Mrd. Euro durch Dividenden und Aktienrückkäufe ausschütten. Der dritte Sieg ist jetzt der Sturz des Führungsduos Seifert/Breuer. Auf Zwischenlösungen und Kompromisse in der Personalfrage ließen sich die eine Hauptversammlungsmehrheit behauptenden Aktionäre nicht ein: sie wollten Köpfe rollen sehen.
Es ist müßig, nun zu analysieren, wann und bei welcher Frage Seifert und Breuer in der Auseinandersetzung mit den widerspenstigen eigenen Aktionären die zumindest anfangs ja eine Minderheit darstellten taktische Fehler gemacht haben. Fakt ist: Die Deutsche Börse steht vor einem Scherbenhaufen. Zu verantworten haben dies Seifert und Breuer. Seifert, weil er wiederholt seine strategischen Möglichkeiten überschätzt hat. Breuer, weil er Seifert allzu freie Hand ließ und die Eskalation zwischen dem eigensinnigen Vorstandschef und einem Teil der Aktionäre nicht verhindern konnte.
Verlierer sind das Unternehmen Deutsche Börse AG und der Finanzplatz Deutschland. Ohne ihren Vorstandsvorsitzenden Werner Seifert ist die Deutsche Börse weniger wert, auch wenn in der ersten Reaktion der Aktienkurs nach oben ging. Denn der Eigensinn, der Seifert zum Verhängnis wurde, war zugleich der Motor für eine Erfolgsstory, die man der Deutschen Börse nicht zugetraut hätte und die in der internationalen Börsenlandschaft ihresgleichen sucht.
Aus der Schwächung der Deutschen Börse droht dem Finanzplatz Schaden. Es geht um nicht weniger als die Infrastruktur des Eigenkapitalmarktes in Deutschland. Deshalb darf die Deutsche Börse nicht zum Spielball angelsächsischer Cash-out-Strategen oder Raider werden. Die neuen Großaktionäre haben bisher nicht erkennen lassen, ob sie neben dem Kassemachen strategische Ziele bei der Börse verfolgen, und wenn ja, welche. Wie soll Breuer da einen Nachfolger für Seifert finden? Schließlich kommt es beim künftigen Börse-Chef neben unternehmerischen Fähigkeiten und Kapitalmarktsinn mehr denn je auf das Einvernehmen mit den Aktionären an.
(Börsen-Zeitung, 10.5.2005)
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