Weser-Kurier: Der "Weser-Kurier" (Bremen) kommentiert in seiner Ausgabe vom 8. November 2010 den elften Castor-Transport ins Atommüll-Zwischenlager Gorleben:
Bremen (ots)
Wahnsinn im Wendland
von Joerg Helge Wagner Natürlich wird auch der elfte Castortransport sein Ziel erreichen. Der "Erfolg" von Greenpeace & Co. wird - wie zehnmal zuvor - darin bestehen, dem Zug mit der strahlenden Fracht einen halben Tag Verspätung eingebrockt zu haben. Dem niedersächsischen Landeshaushalt hat man vielleicht noch die eine oder andere Million Euro an zusätzlichen Kosten verursacht - die Landesregierung ist ja bereits darauf eingestellt, dass sie der Wahnsinn im Wendland wieder zwischen 20 und 25 Millionen Euro ärmer machen wird. Nicht einmal das würde wohl reichen, hätten die geradezu militärisch straff organisierten "Schotterer" es geschafft, die Gleisanlagen nachhaltig zu demolieren. Nun aber können die von ihnen professionell eingebetteten Journalisten nur von massiver Polizeipräsenz, Reizgas und Schlagstöcken berichten - wenigstens ein Propaganda-Erfolg, denn der Rechtfertigungsdruck lastet zunächst immer auf der Staatsmacht. Ob es irgendwie logisch ist, gegen die Gefahren der Kernkraft zu protestieren, indem man einen Transport mit gefährlichem Nuklearmüll zusätzlich gefährdet, müssen die militanteren Kernkraftgegner zunächst mit sich selbst ausmachen. Den Rest klären später Staatsanwaltschaft und Gerichte - und räumen hoffentlich mit der in einem Rechtsstaat unhaltbaren Ansicht auf, dass Straftaten nur von hinreichend vielen Tätern begangen werden müssen, um als "ziviler Ungehorsam" entkriminalisiert zu werden. Das ändert nichts an der grundsätzlichen Berechtigung des friedlichen Protests, der durch die verlängerten Laufzeiten für die Kernkraftwerke immensen Schwung erfahren hat. Denn die Regierung hat bislang nicht schlüssig erklären können, welche Notwendigkeit sie eigentlich gezwungen hat, den gesellschaftlichen Ausstiegskonsens zu kündigen. Strommangel? Schon heute wird mehr in die Netze eingespeist als abgenommen. Finanzierung der alternativen Energien? Abgesehen davon, dass die Ausgestaltung der Brennstäbe-Steuer ohnehin fragwürdig ist, da sie von den Betreibern wieder als Betriebsausgabe abgesetzt werden kann: Die Kosten für Transport und Lagerung zusätzlich anfallender Atommüllmengen werden bislang verschwiegen. Das Müllproblem aber ist das entscheidende, es beleuchtet grell auch die Widersprüche der Kernkraftgegner. Ist die oberirdische Lagerung direkt bei den Atommeilern - wie sie von Greenpeace gefordert wird - tatsächlich sicherer als ein Salzstock viele hundert Meter unter der Erde? Das deutsche Atomgesetz und demnächst auch eine entsprechende EU-Vorschrift zwingen den Staat, eine sichere Entsorgung zu gewährleisten. Vor diesem Hintergrund war der zehnjährige Erkundungsstopp in Gorleben - durchgesetzt vom grünen Bundesumweltminister Trittin - sicher kein Beweis besonderen politischen Verantwortungsbewusstseins. Eher ist es unverdientes Glück der Grünen, dass sie heute weder im Bund noch in Niedersachsen regieren müssen - und das auch noch ohne einen Joschka Fischer, der vor zehn Jahren den Export von Brennstäben nach China als der Weisheit vorerst letzten Schluss verkaufen konnte. Nein, das nukleare Erbe kann nur gemeinsam angetreten werden. Nachdenkliche Grüne wie die Wendländerin Rebecca Harms wissen das: "Nicht mit einem schlichten Nein" sei das Problem zu lösen, gibt sie in der alternativen "tageszeitung" zu Protokoll. Das Wichtigste sei, dass der Umbau der Energieversorgung beginne - die Bundesregierung sollte das als Einladung begreifen, noch einmal gemeinsam über Energiekonzepte nachzudenken. joerg-helge.wagner@weser-kurier.de
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