Weser-Kurier: Zum NSU-Prozess schreibt der Bremer WESER-KURIER:
Bremen (ots)
Zwei Juristen, drei Meinungen. Diese Feststellung spiegelt die Unsicherheit im Umgang mit der Justiz ebenso wieder wie die bekannte Weisheit, dass man vor ihr wie auf hoher See "in Gottes Hand" sei. Der Juristenstreit um die Öffentlichkeit des am Montag in München beginnenden NSU-Prozesses gibt dafür ein neues Beispiel. Muss ein Gericht einem massiven Medieninteresse nachgeben? Darf man Ton und gegebenenfalls auch Bild von der Verhandlung übertragen? Dass der wissenschaftliche Dienst des Bundestags beides mit Nein beantwortet, will nicht allzu viel heißen. Mühelos könnten sicher eine Reihe juristischer Spezialisten mit gegenteiligen Ansichten zitiert werden. Wenn aber ein Gericht nicht Gefahr laufen will, dass ein nach zwei Jahren mühsam erarbeitetes Urteil aufgehoben wird und der gesamte Prozess neu aufgerollt werden muss, geht es auf Nummer sicher und entscheidet sich für die strengste Gesetzesauslegung - so wie das Oberlandesgericht München. Das Gezeter im Vorfeld des Prozesses macht deutlich: Das deutsche Gerichtsverfassungsgesetz ist verstaubt. Es wurde in einer Zeit verabschiedet, in der es gerade einmal eine Handvoll von Fernsehsendern und überregionalen Zeitungen und Zeitschriften gab und Online-Medien völlig unbekannt waren. Und in denen es der Öffentlichkeit genügte, selbst über weltbewegende Ereignisse einen Tag später informiert zu werden. Ein solches Medien-Bild herrscht in der Justiz immer noch vor, denn Juristen marschieren selten an der Spitze des Fortschritts. So wurde bei der Vorbereitung des NSU-Mammutprozesses offenbar kein Gedanke daran verschwendet, wie riesig und international das Medieninteresse an dem Verfahren werden könnte und ob für die Öffentlichkeit genügend Plätze zur Verfügung stehen würden. Hätte auch nur einer der Beteiligten eine etwas vertiefte Ahnung von der heutigen Medienlandschaft gehabt, hätte das Desaster - vielleicht - vermieden werden können. Nun ist der Ärger da und immer noch groß. Dennoch sollte man jetzt den Prozess laufen lassen und sich damit trösten, dass die Justiz vielleicht aus den in München gemachten Fehlern lernt, obwohl sie mitunter sehr hartnäckig an einmal gemachten Fehlern festhält. Auch die Politik ist gefragt. Das Gerichtsverfassungsgesetz zu ändern obläge dem Bundestag. Dort möge darüber nachgedacht werden, ob der Ablauf des Justizalltags da und dort modernisiert werden müsste. Besser wäre es gewesen, man hätte vorher nachgedacht, aber hinterher ist man zugegeben immer schlauer.
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