Rheinische Post: Der Kardinal und das Unwort
Düsseldorf (ots)
Von Bertram Müller
Schon ungezählte Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens sind in dieses Vergehen geschlittert, jetzt auch Kardinal Joachim Meisner. Niemand wird ihm unterstellen wollen, dass er mit nationalsozialistischen Ansichten sympathisiere - aber der Begriff "entartet" hätte ihm nicht über die Lippen gehen dürfen. Wer Strömungen der Kultur als "entartet" bezeichnet, bringt sich damit in die Nähe derer, die selbstherrlich, oft todbringend darüber befanden, was ein Künstler zu tun und was er zu lassen habe. In Deutschland neigen Menschen mit einem starken Anliegen zuweilen dazu, die Objekte ihres Abscheus mit Begriffen aus dem Wörterbuch des Unmenschen zu belegen. Was Meisner zu seiner Wortwahl bewogen hat, ist der einst vom Kunsthistoriker Hans Sedlmayr vorgestellte Befund vom "Verlust der Mitte". Der Glaube an Gott, der noch im Mittelalter aus jedem Kunstwerk sprach, hat sich in den Künsten seit der Aufklärung verflüchtigt. Christliche Kunst ist heute nur noch eine Spielart unter vielen, längst nicht mehr die bedeutendste. Kardinal Meisner möchte den christlichen Werten wieder jene Verbindlichkeit verschaffen, die sie einst hatten. "Entartet" aber ist das falsche Wort für die Kultur der Moderne.
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