Kinder zwischen den Fronten
UNICEF-Botschafterin Sabine Christiansen berichtet über die Lage der Kinder in Israel und den palästinensischen Autonomiegebieten
Köln (ots)
UNICEF ruft Israelis und Palästinenser auf, Kinder im Nahostkonflikt besser zu schützen. Von September 2000 bis Ende Mai 2004 wurden bei Militäraktionen und Anschlägen 670 Kinder getötet. 573 kamen aus der Westbank oder dem Gazastreifen, 104 aus Israel und zwei aus dem Ausland. Über 12.000 palästinensische Kinder und Jugendliche wurden verletzt. In der Westbank und im Gazastreifen schränken Militäroperationen der israelischen Armee und hunderte Kontrollpunkte die Bewegungsfreiheit so stark ein, dass jeden Tag ein Drittel der Kinder Probleme hat zur Schule zu gehen. In besonders umkämpften Gebieten wie dem Flüchtlingslager in Rafah sind nach Untersuchungen von Psychologen 70 Prozent der Kinder traumatisiert. In Israel bestimmt Angst vor Terroranschlägen den Alltag der Kinder.
UNICEF-Botschafterin Sabine Christiansen besuchte vom 30.5. bis 3.6. Haifa, Jerusalem, Ramallah, Gaza und Rafah, um sich über die Auswirkungen des Konflikts auf Kinder zu informieren. Nach ihrer Rückkehr sagte sie: "Die andauernde Gewalt im Nahen Osten zerstört das Leben Tausender Kinder zwischen den Fronten. Die Situation der palästinensischen Kinder im Gazastreifen ist unerträglich geworden."
UNICEF führt in den palästinensischen Autonomiegebieten gezielte Projekte durch, um Kinder und Jugendliche zumindest für ein paar Stunden aus der Gewalt herauszuholen, ihre Fähigkeiten zu entwickeln und ihnen zu helfen, einen Beitrag zur Gestaltung der Gesellschaft zu leisten. Am kommenden Montag beginnt in Genf eine zweitägige Konferenz der Vereinten Nationen zur Lage palästinensischer Flüchtlinge im Nahen Osten.
Gewalt und Hoffnungslosigkeit
Im südlichen Gazastreifen ist die Atmosphäre besonders angespannt. Weitgehend von der Außenwelt isoliert leiden die Kinder unter Ausgangssperren, überraschenden Militäroperationen der israelischen Armee und deren Zusammenstößen mit militanten Gruppen. Es herrschen große Armut und Hoffnungslosigkeit. Kinder berichten, dass sie und ihre Eltern während der so genannten Operation "Regenbogen" über Lautsprecher aufgerufen wurden, kurzfristig ihre Häuser zu verlassen. Selbst ihre Schulsachen konnten sie nicht mehr mitnehmen. Viele sind nach den jüngsten Hauszerstörungen notdürftig in Schulgebäuden untergebracht. Psychologen berichten, dass 70 Prozent der Kinder traumatisiert sind. Sie sind unruhig, können sich nicht konzentrieren und leiden unter Albträumen. Manche sind verängstigt und ziehen sich von ihren Eltern zurück, andere werden immer aggressiver. Viele schaffen es nicht mehr, dem Unterricht zu folgen und kommen nicht mehr zur Schule.
UNICEF befürchtet, dass sich auch in der Westbank die Lage der Kinder weiter verschlechtert. Der Bau des Trennzaunes zwischen den palästinensischen Autonomiegebieten und Israel schreitet voran. Der Zaun sowie hunderte Straßenblockaden schränken bereits jetzt die Bewegungsfreiheit stark ein. Immer wieder kommt es an Passierstellen zu langen Wartezeiten. Viele Kinder haben deshalb Probleme, zur Schule zu kommen oder Freunde und Verwandte zu besuchen. Der Zugang zu Krankenhäusern und anderen sozialen Einrichtungen ist vielerorts erschwert.
Angst und Trauer
Auch in Israel leiden die Kinder unter der Zuspitzung des Konflikts. Mindestens 104 Kinder wurden bei Terroranschlägen getötet. Während an der Oberfläche das Leben weitgehend normal verläuft, ist die Angst vor Anschlägen ein ständiger Begleiter. Repräsentative Befragungen von Kindern und Jugendlichen weisen darauf hin, dass auch hier Stresssymptome bei Kindern zugenommen haben. Insbesondere die unmittelbar von Anschlägen betroffenen Kinder und ihre Angehörigen brauchen langfristige Hilfe. Die Koby-Mandel-Foundation in Jerusalem organisiert zum Beispiel psychologische Angebote für überlebende Eltern und Geschwister, damit sie gemeinsam mit ihrer Verzweiflung und Trauer umgehen lernen. Die Stiftung wurde von Eltern gegründet, deren 13 Jahre alter Sohn im Mai 2001 getötet wurde.
UNICEF-Hilfe
Nach dem Oslo-Abkommen 1993 erhielt UNICEF von den Vereinten Nationen den Auftrag, die palästinensische Autonomiebehörde beim Aufbau einer sozialen und medizinischen Grundversorgung der Kinder zu unterstützen. Von Ost-Jerusalem aus und an vier weiteren Standorten (Gaza, Rafah, Jenin und Jericho) organisiert UNICEF heute seine Entwicklungs- und Nothilfeprojekte. In Israel führt UNICEF keine Programme durch, da dort die Grundversorgung der Kinder gesichert ist.
Auf Bitten der lokalen Behörden hat UNICEF seit 2002 in der Westbank und im Gazastreifen Modellprojekte entwickelt. So werden zum Beispiel geschützte Spielbezirke eingerichtet, in denen die Kinder ungestört spielen, zeichnen, tanzen, Sport treiben oder miteinander reden können. Allein in Jenin kommen jeden Tag mehrere Hundert Kinder und Jugendliche, oftmals auch mit ihren Eltern, dorthin. UNICEF unterstützt die Gemeinden bei der Herstellung und Ausstattung solcher Plätze und hilft bei der Ausbildung von Betreuern und Sozialarbeitern, die dort regelmäßig pädagogische und kreative Angebote für die Kinder organisieren. Diese stellen sich ehrenamtlich zur Verfügung.
An verschiedenen Orten organisiert UNICEF auch Kinder- und Jugendräte. Jungen und Mädchen werden von ihren Mitschülern aus den verschiedenen Schulen einer Region gewählt. Sie treffen sich in eigenen Räumen, die von der Gemeindeverwaltung zur Verfügung gestellt werden. In den Gruppen besprechen sie die Probleme und Wünsche der Kinder und Jugendlichen aus ihrem jeweiligen Umfeld und machen konkrete Vorschläge zum Beispiel zum Aufbau von Spielplätzen, Jugendtreffs oder zur Gestaltung von öffentlichen Plätzen und entwickeln eigene Projekte.
Bei Rückfragen und Interviewwünschen wenden Sie sich bitte an die UNICEF-Pressestelle, Rudi Tarneden, Durchwahl 0221/93650-235 oder 315. Aktuelle Fotos der Reise sind bei dpa-Bild abrufbar. Weitere Informationen unter www.unicef.de
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