Stuttgarter Nachrichten: "Politiker stellen mehr dar, als sie draufhaben" Streitgespräch zwischen dem Schauspieler Ulrich Matthes und dem SPD-Politiker Ralf Stegner
Stuttgart (ots)
Der Schauspieler Ulrich Matthes (52) erwischt Politiker "permanent"dabei, mehr darzustellen als sie tatsächlich draufhaben. Meist reiche schon gesunder Menschenverstand, um zu spüren, "wie sehr das äußere Bild mit unter von dem abweicht, was sich dahinter verbirgt", sagte der Mime des Deutschen Theaters Berlin den Stuttgarter Nachrichten. Der über eine Plagiatsaffäre gestürzte Ex-Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) habe sich auch deshalb gut inszenieren können, "weil die Öffentlichkeit geradezu gierig war auch nach dem Eros der Politik". Politik sei im äußerst weiten Sinne auch ein hocherotisches Gewerbe. Matthes: "Es wird nur im Moment nicht bedient, weil wir eine Kanzlerin haben, die sich weitgehend geschlechtslos gemacht hat."
Matthes und Schleswig-Holsteins SPD-Chef Ralf Stegner (51) diskutierten in der Zeitung über "Theatralik in der Politik" - Stegner hat zu diesem Thema promoviert. Der SPD-Politiker erklärt zu Guttenbergs damalige Popularität hingegen mit dem Wunsch der "obrigkeitsstaatlich geprägten Deutschen" nach einem Ersatzmonarchen. "Ist das etwas anderes als Autoritätsbedürfnis? Die Leute hätten doch sehen müssen, dass dieser Politikertypus aufgeblasen ist wie ein vor Anabolika strotzender Bodybuilder - Guttenberg war nur ein bisschen weniger primitiv." Dagegen meint Matthes, der zuletzt im Kinofilm "Der Untergang" Jopseh Goebbels verkörperte: "Guttenberg kann reden, schlau ist er, adelig auch - das war kein gedopter Bodybuilder. Das, was wir als Pose empfinden ist Guttenberg ja tatsächlich. Er ist mit sich identisch und hat ein funktionierendes Selbstbewusstsein."
Andere Politiker könnten es sich leisten zu zeigen, dass ihnen egal sei, was die Partei von ihnen hält, so Stegner. "Der frühere Außenminister Joschka Fischer (Grüne) und Ex-Innenminister Otto Schily (SPD) galten in ihrem persönlichen politischen Umfeld als Stinkstiefel - aber eben auch als Autoritäten, die sogar die Konkurrenz beeindruckten." Politik sei eben nicht gerecht. Altkanzler Helmut Schmidt (SPD) gehört für Stegner zu den wenigen Politikern, an denen die Wähler eine entschiedene Klarheit und fehlende Lust am Smalltalk duldeten. "Ich möchte wetten, dass Helmut Schmidt sich noch nie Gedanken darüber gemacht hat, ob er sympathisch rüberkommt."
Matthes und Stegner halten Nordrhein-Westfalens Ministerpräsidentin Hannelore Kraft für eine geeignete Kanzlerkandidatin der SPD. Matthes: "Mich hat ihre Trauerrede für die Opfer des Loveparade-Unglücks in Duisburg extrem beeindruckt. Da stand ein Mensch. Sie musste einen Staatsakt über die Bühne bringen - Stichwort Theatralik - und hat trotzdem gezeigt, wie sie das als Mensch bewegt. Damals dachte ich, wer so was kann, kann auch Kanzlerin." Merkel wäre dazu nicht in der Lage gewesen.
Stegner hat seine Doktorarbeit zum Thema "Theatralik in der Politik" verfasst. "Ich wollte untersuchen, was in einer Massenmediendemokratie passiert, wenn die Inszenierung den Inhalt überlagert und ihm Vordergrund steht." Auch nach Studien in den USA sei er zu dem Ergebnis gekomen: "Auge schlägt Ohr, und rationale Kritik läuft sich tot, weil das Image überwiegt."
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