Alle Storys
Folgen
Keine Story von taz - die tageszeitung mehr verpassen.

taz - die tageszeitung

Die Hoffnung stirbt zuerst/Kommentar zur Bildung einer israelischen Regierungskoalition ohne Benjamin Netanjahu

Berlin (ots)

Israel ist ein schwer regierbarer Staat: eine zersplitterte Parteienlandschaft, keine Fünfprozenthürde und eine höchst heterogene Bevölkerung mit weit auseinanderlaufenden Interessen. Und all das auch noch in einem sicherheitspolitisch explosiven Umfeld. Insofern zählen die Jahre, die man in Jerusalem geschafft hat zu regieren, gewissermaßen doppelt. Sollte ein neues Rechts-Mitte-links-Bündnis es in dieser Woche tatsächlich schaffen, eine Regierung zu bilden, wird Benjamin Netanjahu zwölf Jahre ununterbrochen im Amt gewesen sein, also quasi ein Vierteljahrhundert.

In all dieser Zeit haben viele stets "Bibi", wie ihn jeder in Israel nennt, für den gescheiterten Friedensprozess mit den Palästinensern verantwortlich gemacht. Doch Hoffnungen, dass jetzt der Frieden ausbricht oder zumindest Schritte in diese Richtung unternommen werden, sollte sich dennoch niemand machen. Die beiden Säulen einer möglichen neuen Regierung, der ehemalige TV-Moderator Jair Lapid von der liberal-zentristischen Partei Jesch Atid (Es gibt eine Zukunft) und der Rechtsaußen Naftali Bennett von der HaJamin HaChadasch (Neue Rechte) können und werden den Nahostkonflikt erst einmal ausklammern. Sie würden in ihrem Bündnis ohnehin keine gemeinsame Linie finden können. Deshalb wollen Lapid und Bennett sich auf die Wirtschaft und wichtige Infrastrukturprojekte des Landes konzentrieren.

Eine Wiederauferstehung des Friedensprozesses würde aber auch an den Palästinensern selbst scheitern. Hamas und Fatah sind sich auch 15 Jahre nach ihrem Bruderkrieg keinen Schritt näher gekommen. Die Fatah selbst driftet zudem auseinander und zersplittert in immer mehr einzelne Fraktionen. Und schließlich: Palästinenserpräsident Mahmud Abbas hat schon so lange nicht mehr wählen lassen, dass die junge Generation das Wort gar nicht mehr kennen dürfte. Ihm fehlt jegliche Legitimität, Verhandlungen mit den Israelis zu führen, und er wäre auch sicher nicht mehr in der Lage, schwierige Kompromisse durchzusetzen. Der Friedensprozess ist auf so vielen Ebenen gescheitert, dass es für eine Erneuerung auch neue Ideen und einen ganz neuen Ansatz braucht.

Wichtig ist das Bündnis friedenspolitisch dennoch. Erstmals will eine arabische Partei, die arabisch-islamische Raam, eine israelische Regierung unterstützen - wenn wohl auch nicht als offizieller Koalitionspartner. Nach den schweren Unruhen zwischen arabischen und jüdischen Israelis ist das ein nicht zu unterschätzendes Symbol. Eine politische Bindung kann einen versöhnlichen Ton in die innerisraelische Debatte bringen, der nach der Gewalteskalation dringend nötig ist.

Pressekontakt:

taz - die tageszeitung
Nina Apin
Telefon: +49 30 25902 255
meinung@taz.de

Original-Content von: taz - die tageszeitung, übermittelt durch news aktuell

Weitere Storys: taz - die tageszeitung
Weitere Storys: taz - die tageszeitung
  • 29.05.2021 – 10:44

    Erntehelfer illegal ohne Sozialversicherung - aber mit Erlaubnis der Behörden

    Berlin (ots) - Viele ErntehelferInnen aus Osteuropa sind nach Recherchen der Tageszeitung "taz" illegalerweise nicht sozialversichert. Die deutschen Sozialversicherungsträger tolerierten diesen Gesetzesverstoß, schreibt das Blatt in seiner Samstagsausgabe. Dazu hätten die gesetzlichen Rentenversicherer, die Krankenkassen und die Bundesagentur für Arbeit bereits ...

  • 26.05.2021 – 16:12

    Außenpolitik nach Gefühlslage

    Berlin (ots) - "In der Politik ist Sprache das eigentliche Handeln". Das hat Robert Habeck, einer der wenigen Intellektuellen in der Parteipolitik, mal in einem Buch über politische Sprache geschrieben. Gescheite Essays zu schreiben ist das eine. Nicht schlecht wäre es, solche Einsichten auch zu beherzigen. Vor allem, wenn es um Krieg geht. Und wenn man bald regieren will. Die Ukraine ist Opfer einer russischen Aggression. Liegt es da nicht nahe, dem Opfer zur Hilfe zu ...

  • 21.05.2021 – 17:20

    Das 29-Euro-Paradoxon, Kommentar von Ulrich Schulte

    Deutschland (ots) - Den 29-Euro-Flug nach Mallorca muss man sich offenbar als verbrieftes Grundrecht aller Deutschen vorstellen. Kaum hatte Grünen-Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock in einem Interview festgestellt, dass eine klimagerechte Besteuerung von Flügen solche Dumpingpreise stoppen würde, echauffierten sich die üblichen Verdächtigen in kalkulierter Empörung. CDU-Chef und Kanzlerkandidat Armin Laschet gab ...