Deutsche Energie-Agentur GmbH (dena)
Klimaziele der EU-Kommission erfordern neue Analyse der Klimapolitik in Deutschland
dena-Chef Kuhlmann empfiehlt Sondersitzung des Klimakabinetts
Berlin (ots)
Zum Green Deal und dem Ziel der Klimaneutralität bis 2050 in der Europäischen Union, die von der Kommission am heutigen Mittwoch vorgestellt und im Parlament beraten werden und über die die Staats- und Regierungschefs der Mitgliedsstaaten am Donnerstag und Freitag in Brüssel verhandeln werden, sagt Andreas Kuhlmann, Vorsitzender der Geschäftsführung der Deutschen Energie-Agentur (dena):
"Die Ankündigung von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ist historisch - auch wenn der Green Deal, Stand heute, lediglich ein Plan ist. Einer der weltweit größten Wirtschaftsräume würde sich damit an die Spitze der Klimapolitik setzen, zumindest was die Beschreibung der Ziele angeht. Die Zielverschärfung ist mit Blick auf die internationalen Vereinbarungen konsequent, aber auch wagemutig. Es gibt bislang keinerlei belastbare Szenarien, wie der Weg zum Ziel gestaltet werden kann. Ein nüchterner Blick auf den Status quo zeigt: Die Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit wird bedauerlicherweise eher größer als kleiner. Das gilt für die EU insgesamt und in besonderer Weise für Deutschland.
Die Erhöhung der Klimaziele hätte erhebliche Auswirkungen auf die deutsche Klimapolitik. Vereinbarungen wie beispielsweise die aus der sogenannten Kohlekommission oder im gerade erst verabschiedeten Klimaschutzprogramm 2030 wären hinfällig und überarbeitungsbedürftig. Der im neuen Klimaschutzgesetz vorgesehene Prozess zum Nachsteuern würde dafür nicht ausreichen. Auch vor dem Hintergrund der deutschen EU-Ratspräsidentschaft im kommenden Jahr sollte die Bundesregierung daher den von ihr offenkundig unterstützten offiziellen Beginn der Debatte um ein klimaneutrales Europa bis 2050 zum Anlass nehmen, eine Sondersitzung des Klimakabinetts einzuberufen und die Auswirkungen für Deutschland zu analysieren.
Klimapolitik neigt zum Scheinriesentum: Je weiter die Ziele entfernt sind, desto größer und mutiger gibt sie sich; je näher diese rücken, desto kleiner und zögerlicher wird sie. Jetzt muss sie sich entscheiden. Sie kann nicht auf der einen Seite eine Verschärfung der Klimaziele vorantreiben und auf der anderen Seite die damit verbundenen Konsequenzen ignorieren. Viel zu groß sind die Auswirkungen auf die verschiedenen Wirtschaftssektoren, das Wirtschaftswachstum, den Bundeshaushalt und auch den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Die Entwicklung von Infrastrukturen, Investitionen, gesellschaftlichen Institutionen und politischen Zielvorgaben folgt unterschiedlichen Geschwindigkeiten. Diese zu synchronisieren ist ein Kraftakt, dessen sich viele nicht ausreichend bewusst sind.
Klimaneutralität heißt auch, dass wir nicht mehr nur über Kohlenstoffquellen und die Vermeidung von Treibhausgasemissionen reden, sondern auch über Kohlenstoffsenken und das Binden von Kohlenstoff in Produktionszyklen und aus der Atmosphäre. Dies erfordert ein erhebliches Maß an Forschung und Investitionen in einem Bereich, der lange so gut wie gar nicht auf der Agenda der Politik stand. Es bedeutet zum Beispiel eine Neubewertung von Carbon Capture and Storage (CCS) und des Einsatzes von Biomasse. Hinzu kommen viele weitere grundsätzliche Fragen, denen sich Europa mit den heute formulierten Zielen stellen muss, zum Beispiel: Muss in der EU jedes Land klimaneutral werden oder wird es Quellen- und Senkenländer geben? Wie verbindlich sind die Ziele und welche Auswirkungen hat das auf die einzelnen Staaten? Wie verträgt sich Klimaneutralität mit Wirtschaftswachstum und unserem Verständnis von Wohlstand? Welche Rolle werden Ausgleichsmaßnahmen mit anderen Regionen der Welt spielen?
Die heute vorgestellten Pläne sind bereits einigermaßen konkret, wenn sie sich nach innen richten, sie bleiben aber leider äußerst vage, wenn sie nach außen gerichtet sind. Ein europäischer Green Deal darf aber nicht nur ein Deal "von Europa für Europa" sein, wie es Kommissionspräsidentin von der Leyen in einem Gastbeitrag formuliert hat. Europa darf sich in der Klimapolitik nicht nur um sich selbst drehen. Der Green Deal wäre zum Scheitern verurteilt, wenn gleichzeitig in anderen Regionen die Emissionen immer weiter zunehmen würden. Der Beitrag für "eine bessere Welt" muss hinreichend konkret ausgestaltet werden, wenn er einen echten Beitrag zum globalen Klimaschutz leisten soll.
2050 mag vielen noch weit erscheinen, aber die erforderliche Transformation ist so groß, dass alles, was wir heute auf den Weg bringen, darüber entscheidet, wie weit wir bis 2050 kommen - egal ob in der Energiewirtschaft, in der Industrie, in Gebäuden oder im Verkehr. Das hat die dena in der Leitstudie Integrierte Energiewende deutlich herausgearbeitet. Gleichzeitig gilt: Mit Physik und Naturgesetzen lässt sich nicht verhandeln. Der Klimawandel wird weiter voranschreiten, wenn wir nicht genug und vor allem das Richtige unternehmen, um ihn zu begrenzen.
Europa ist stark. Es wird auch in Zukunft stark sein, wenn es auf nachhaltigen Werten aufbaut und seine Kräfte auf die Gestaltung der Zukunft fokussiert. Der heute vorgestellte Green Deal strahlt alles das aus. Er lässt erkennen, welche Perspektiven sich damit verbinden können, auch wenn er gewiss in all seinen Auswirkungen und Konsequenzen noch nicht zu Ende gedacht ist."
Weitere Informationen zur dena-Leitstudie Integrierte Energiewende: www.dena.de/integrierte-energiewende.
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