Mitteldeutsche Zeitung: Literaturnobelpreisträger Günter Grass ruft zum Engagement für Halle als Standort der fusionierten Bundeskulturstiftung auf
Halle (ots)
Der Schriftsteller fordert den Bundestagspräsidenten Norbert Lammert auf, sich öffentlich für Halle auszusprechen/Kritik an Merkel und Neumann/ Votum für Halle als Bekenntnis zu Mitteldeutschland als "Geschichts- und Kulturraum"/Sachsen-Anhalt soll sich für Standort engagieren
Halle. Der Literaturnobelpreisträger Günter Grass fordert den Bundestagspräsidenten Norbert Lammert (CDU) auf, sich öffentlich für die Beibehaltung des Standortes Halle der Bundeskulturstiftung auszusprechen. Zur Zeit wird deren Fusion mit der in Berlin ansässigen Kulturstiftung der Länder verhandelt. Im Gespräch mit der in Halle erscheinenden "Mitteldeutschen Zeitung" (Dienstagausgabe) sagt Grass: Ich wünschte mir, dass zum Beispiel der Bundestagspräsident Norbert Lammert, der jetzt wieder die ,Leitkultur' ausgegraben hat, ein Beispiel setzt und sich für Halle ausspricht. Das wäre ein Stückchen Leitkultur: Das Beharren darauf, dass unser Reichtum in Deutschland aus Vielfalt besteht und nicht aus Zentralismus." Sowohl der Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) als auch dem Staatsminister für Kultur, Bernd Neumann (CDU), wirft Grass Versagen vor. "Die Bundeskanzlerin rettet sich in die Außenpolitik, geht um die heißen Eisen herum. Obwohl eine Machtfülle ohne gleichen da ist, wird sie nicht genutzt, die Dinge auf den Weg zu bringen, die man mit knappen Mehrheiten durchbringen kann. Das gilt auch für den neuen Staatsminister für Kultur. Man nimmt ihn nicht wahr. Er ist im Grunde gar nicht da." In scharfen Worten kritisiert Grass die interne Debatte um den Standort der Stiftung: "Nun, da es endlich gelingt, die Stiftungen zusammenzulegen, soll das wiederum der Grund dafür sein, den gemeinsamen Sitz von Halle nach Berlin zu verlegen. Es ist absurd, widersinnig und im Grunde barbarisch. Es entspricht nicht dem Sinn, den eine Bundeskulturstiftung innerhalb eines föderalistischen Staates erfüllen sollte." Die Umzugsdebatte erklärt Grass mit einem Rückfall "in den Separatismus" einerseits und "reiner Bequemlichkeit" andererseits. "Aber dort, wo man Vielfalt beweisen könnte, in diesem kleinen, aber doch wichtigen Fall der Bundeskulturstiftung mit Sitz in Halle, meint man aus reiner Bequemlichkeit, etwa um die Bahn- oder die Autofahrt von Halle nach Berlin zu vermeiden, sparen und zentralisieren zu müssen." Grass hält den Standort Berlin auch deshalb für falsch, weil hier die Lobbyisten der Stiftung "auf die Pelle rücken" würden. "Wenn ich eine Woche lang Diktator spielen dürfte, würde ich eine Bannmeile um den Bundestag und die Entscheidungsgremien ziehen. Lobbyisten wären nicht zugelassen. Halle verfügt noch über diese Bannmeile. Wenn man die Stiftung nach Berlin verlegt, ist sie hautnah dran. Zudem gibt es in Berlin keinen Ort, der wie die Franckeschen Stiftungen eine solche Verankerung mit einem der besten Teile unserer Landesgeschichte aufweist, nämlich dem der Aufklärung. Die wäre hier in Halle mit Sinn, Aufgabe und Arbeit auszufüllen." In der Tatsache, dass der Abgang der Stiftung aus Halle erwogen wird, erkennt Grass einen Hinweis auf die mangelnde Wahrnehmung des Ostens von Westen her. "Die deutsche Einheit ist auf dem Papier vollzogen worden, aber sie hat in den Köpfen, von Herzen wollen wir gar nicht reden, im Grunde nie richtig stattgefunden. Der Osten wird nicht ausreichend wahrgenommen. Ganze Regionen entvölkern sich, die Städte schwinden, Halle ist ein Beispiel dafür. Und deswegen war der Entschluss, den Sitz der Bundeskulturstiftung nach Halle zu verlegen, ein richtiger. Jetzt, da endlich auch die Länderstiftung mit hineingenommen wird, wird die Frage des Stiftungssitzes noch wichtiger für Halle, für die gesamte Region und für das Selbstbewusstsein der Menschen in den neuen Bundesländern." Für Grass wäre das öffentliche Bekenntnis zu Halle eine nationale Tat von neuer Qualität. "Halle bietet die Möglichkeit, unsere föderalistische Gliederung mit dem nationalen Anspruch zu verbinden. Eben nicht Berlin, nein, Halle." Auch die Bundeskulturstiftung kritisiert Grass. "Ich habe mir von einer solchen Bundeskulturstiftung mehr Einmischung erwartet. Zum Beispiel, um ein anderes missratenes Kind beim Namen zu nennen, bei der Rechtschreibreform. Verrückter hätte so etwas nicht laufen können. So viel ich weiß, hat man die Bundeskulturstiftung nicht mit einbezogen." Eine überregionale Aktion "Pro Halle" würde Grass begrüßen. "Ich gebe meine Stimme sofort dafür her." Den Künstlern und Politikern ruft er zu, "sie müssten sich aus ihren Puschen heraus bewegen". Den selben Appell richtet er an die Menschen in Sachsen-Anhalt. "Ich glaube, dass noch nichts verloren ist. Wenn sich die Bürger von Halle und von Sachsen-Anhalt auf die Hinterbeine stellen und vernehmlich laut werden, werden sie auch Unterstützung finden."
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Christian Eger
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