Deutsches Institut für Menschenrechte
Erneute Zunahme häuslicher Gewalt alarmierend
Gewalthilfegesetz muss rasch kommen
Berlin (ots)
Am 7. Juni hat das Bundeskriminalamt (BKA) das "Lagebild Häusliche Gewalt" veröffentlicht. Dazu erklärt Müserref Tanriverdi, Leiterin der Berichterstattungsstelle geschlechtsspezifische Gewalt des Deutschen Instituts für Menschenrechte:
"Bund und Länder müssen die Umsetzung der Istanbul-Konvention jetzt entschieden vorantreiben. Denn die Anzahl der Betroffenen von häuslicher Gewalt ist im Vergleich zum Vorjahr um 6,5 Prozent gestiegen. Bereits im Jahr davor hatte es einen Anstieg gegeben. Die Betroffenen sind schon wieder überwiegend Frauen. Das ist alarmierend und erfordert dringend politische Maßnahmen. Das im Koalitionsvertrag angekündigte Gewalthilfegesetz, wonach jede von geschlechtsspezifischer und häuslicher Gewalt betroffene Frau mit ihren Kindern einen Rechtsanspruch auf Schutz und Beratung erhalten soll, muss schnellstmöglich kommen. Denn mit den wachsenden Zahlen steigt auch der Bedarf an Unterstützung.
Bereits die Expert*innengruppe GREVIO des Europarats, die für die Überwachung der Istanbul-Konvention zuständig ist, hatte im ersten Evaluationsbericht für Deutschland von Oktober 2022 darauf hingewiesen, dass es nicht genügend Schutzräume für Betroffene häuslicher Gewalt gibt, und monierte große bundesweite Umsetzungsunterschiede hinsichtlich Quantität und Qualität der Hilfsangebote. Ferner verwies sie auf das Fehlen eines Nationalen Aktionsplans zur Verhütung und Bekämpfung geschlechtsspezifischer Gewalt. Dabei ist die effektive Koordinierung von Schutz- und Beratungsmaßnahmen entscheidend. So sind etwa in ländlichen Gebieten spezialisierte Unterstützungsdienste weniger verbreitet. Zudem müssen Hilfsangebote für alle Betroffenen zugänglich sein. Aber gerade für Frauen in vulnerablen Lebenssituationen, wie etwa Frauen mit Behinderungen oder geflüchtete Frauen, bestehen erhebliche Hürden beim Zugang zu Schutz und Beratung.
Neben den Hilfsangeboten müssen Politik und Gesellschaft dafür sorgen, dass Gewalt gar nicht erst entsteht. Dazu gehört, präventiv bei den Tätern anzusetzen sowie die sozialen und kulturellen Strukturen zu hinterfragen, um Geschlechterstereotype abzubauen sowie Respekt und Gleichberechtigung zu fördern. Es reicht eben nicht aus, nur die Symptome zu lindern.
Ob der Anstieg der gemeldeten Fälle eine erhöhte Meldebereitschaft der Betroffenen widerspiegelt oder andere Gründe hat, ist nicht mit Sicherheit zu sagen. Am erhöhten Bedarf der Hilfsangebote jedenfalls ändert das wenig." Trotzdem ist es wichtig, die Ursachen besser zu verstehen. Dafür ist es entscheidend, auch die nicht gemeldeten Fälle zu berücksichtigen. Im nächsten Jahr wollen das Bundesfamilienministerium, das Bundesinnenministerium und das BKA die Dunkelfeldstudie Lebenssituation, Sicherheit und Belastung im Alltag - LeSuBiA veröffentlichen. Dann wissen wir vielleicht mehr."
Lagebild - Die Zahlen
Nach Angaben des Bundeskriminalamts waren im Jahr 2023 insgesamt 256.276 Menschen in Deutschland Opfer von häuslicher Gewalt. 2022 waren es noch 240.547. Das bedeutet einen Anstieg der Fallzahlen um 6,5 Prozent zum Vorjahr. 70,5 Prozent der Opfer waren laut BKA weiblich, 75,6 Prozent der tatverdächtigen Personen waren männlich. Im Bereich Partnerschaftsgewalt stiegen die Fallzahlen um 6,4 Prozent. 79,2 Prozent der Opfer von Partnerschaftsgewalt waren Frauen.
WEITERE INFORMATIONEN
Lagebild Häusliche Gewalt
Bericht über die Datenlage zu geschlechtsspezifischer Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt in Deutschland. Grundlagen für ein Umsetzungsmonitoring zur Istanbul-Konvention
Jahresthema 2024: Schutz- und Unterstützungssystem
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