Berliner Morgenpost: Ein Trümmerhaufen - Leitartikel
Berlin (ots)
Heute schließt Tempelhof. Ein trauriger Tag für Berlin und Deutschland. Nicht so sehr wegen des eingestellten Flugbetriebs. Damit könnte man leben. Sondern wegen der übergeordneten Symbolkraft, die von diesem Akt politischer Willkür und Wurstigkeit ausgeht. Es ist ein Stilwechsel im Zeichen von Geschichtsvergessenheit und Wirtschaftsfeindlichkeit. Es ist ein Sinnbild für einen Führungsstil, in dem die Taktik über der Sache steht. Tempelhof ist ein historischer Ort, ein politischer Ort und ein Zukunftsort. Hier wurde 1923 der erste Verkehrsflughafen der Welt gebaut, ein international bewundertes architektonisches Meisterwerk, oder wie Norman Foster es formulierte: "Die Mutter aller Flughäfen". Nach dem Krieg wurde Tempelhof zum Schauplatz der Luftbrücke - Überlebenshilfe für viele Berliner und Bollwerk für die Verteidigung der Freiheit. Die Amerikaner und Engländer hielten allem tagespolitischen Pragmatismus zum Trotz an Berlin als Stachel im Fleisch der sowjetischen Zone fest. Es ist wahrscheinlich, dass es ohne Luftbrücke Jahrzehnte später keine deutsche Wiedervereinigung gegeben hätte. Tempelhof steht aber nicht nur für Berlins Vergangenheit, Tempelhof hätte auch für seine Zukunft stehen können. Wirtschaftlich ist die Hauptstadt ein Armenhaus. Aber einen Jahr um Jahr wichtiger werdenden Vorteil hatte Berlin und wurde darum von anderen Metropolen beneidet: einen innerstädtischen Flughafen, von dem in zehn Minuten alle großen Büros der Stadt zu erreichen sind. Andere Großstädte bauen sich mühsam diese zentralen City-Flughäfen, um für Investoren und Geschäftsleute attraktiv zu sein. Berlin hat einen solchen - und schließt ihn. Eine Entscheidung, die in wenigen Jahren schon bitter bereut werden wird. Denn das Fluggastaufkommen in Berlin wächst jährlich um acht Prozent (besonders schnell übrigens das für Tempelhof prädestinierte Geschäftsfliegervolumen). Denn jetzt schon ist absehbar, dass der neu zu bauende, innenstadtfern gelegene Großflughafen Schönefeld diese Kapazitätssteigerungen gar nicht bewältigen kann. Zudem gibt es für die Nutzung des Tempelhofgeländes keinerlei Konzept (und für weitere Wohn- oder Büroflächen in Berlin auch keinen Bedarf). Und die Unterhaltung des stillgelegten Flughafens kostet die Steuerzahler pro Jahr viel mehr Millionen als die Aufrechterhaltung des Flugbetriebs. Und obendrein hätte es einen Investor gegeben, der in den Ausbau des Flughafens und seine Erweiterung um ein Klinikzentrum mehr als 300 Millionen Euro investiert und mehr als 1000 neue Arbeitsplätze in der von Arbeitslosigkeit geschlagenen Stadt geschaffen hätte. Stattdessen beharrte der Bürgermeister auf seiner frühen Fehlentscheidung, den Flughafen zu schließen, schob formaljuristische Argumente vor und mobilisierte den Ostteil der Stadt mit einer Sozialneid-Kampagne unter dem demagogischen Slogan: "Ich zahl' doch nicht für einen VIP-Flughafen". International wird diese Entwicklung verständnislos registriert. Verwundert fragt man sich anderswo: Warum schadet die deutsche Hauptstadt sich freiwillig, warum wuchert man nicht mit einem Pfund, das die Stadt als Unternehmensstandort und Magnet für Investoren interessant machen würde? Der Grund dafür ist einfach: Es gibt in Berlin offensichtlich Politiker, die an einem wirtschaftlichen Aufschwung gar kein Interesse haben. In keiner Großstadt Deutschlands gibt es so viele Sozialtransferempfänger wie in Berlin. Die rot-rote Regierung ist eine Umverteilungsmaschine und Garant für üppig sprudelnde Sozialleistungen an die Staatsabhängigen. Die Transferempfänger sind des Bürgermeisters treueste Klientel. Deshalb lautet die zynische Berliner Rechnung: Jeder neue Arbeitsplatz kostet Wähler. Dass die Berliner Landesregierung die Flughafenentscheidung zur sozialpopulistischen Stimmungsmache missbraucht, ist traurig, aber erklärbar. Der eigentliche Skandal besteht aber darin, dass die Bundesregierung das geschehen lässt. Mit einem Federstrich hätte das Projekt in die Zuständigkeit des Kanzleramtes überführt werden können. Die Bundesregierung hätte zeigen können, dass ihrem oft proklamierten Sinn für Geschichte, für Symbole und für Aufschwung auch Taten folgen können. Doch das war ihr im gegenwärtigen christsozialistischen Großkuschelklima wohl zu riskant. Den ersten Passagierflughafen der Welt konnten weder Nazis noch Kommunisten erledigen. Eine Koalition aus Mittelmaß und Mutlosigkeit hat es jetzt geschafft. Der Trümmerhaufen Tempelhof reicht weit über die Grenzen der Landebahn hinaus.
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