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BERLINER MORGENPOST

Berliner Morgenpost: Ein Lehrstück zum Umgang mit dem Internet

Berlin (ots)

Ein Lehrbeispiel besonderer Art ist die Panne, die
am Donnerstag dem baden-württembergischen Innenminister Heribert Rech
(CDU) bei der Bekanntgabe von Ermittlungsergebnissen zum Amok in 
Winnenden unterlaufen ist. Rech hatte aus einen nicht verifizierten 
Internet-Dialog zitiert, der ein Licht auf Motiv- und Gemütslage des 
Amokläufers zu werfen schien. Sofort begann die 
Interpretationsmaschinerie Erklärungen zu liefern, Experten 
bewerteten, Politiker schlussfolgerten. Aus einem "Nachrichtenbild" 
wurde ein bundesweites Meinungsbild, das sich 24 Stunden später schon
als mutmaßlich völlig substanzlos erwies - obwohl "es" doch "im 
Internet" gestanden hatte?!
Es soll hier nicht darum gehen, einem Innenminister, der im 
Dauerstress einer beispiellosen Krisenlage von der ersten Stunde an 
eine recht passable Figur abgegeben hat, einen einzelnen Fehler 
nachzukarten. Viel interessanter ist das Zustandekommen dieses 
Fehlers, vor dem jeder Einzelne von uns jeden Tag aufs Neue ebenso 
wenig gefeit ist wie ein Innenminister mit seinem vielköpfigen 
Ermittlungsstab. Denn mit der Behauptung "es stand im Internet" wird 
mittlerweile bald jeder Blödsinn in die Welt gesetzt. Ganz abgesehen 
von gezielten Fälschungen, die uns in unserem Glauben an die 
scheinbare Authentizität der elektronischen Wundermaschine 
irreleiten. Wenn dann noch "Zeugen" bestätigen, wie im vorliegenden 
Falle, dieses oder jenes "im Internet" gelesen zu haben, ist die 
Desinformationsspirale schon gar nicht mehr zu stoppen.
Das sollte unserer Begeisterung für das neue Medium World Wide Web 
und seinen ungeheuren Möglichkeiten, Raum- und Zeitschranken zwischen
Kontinenten zu überbrücken und die Menschheit miteinander ins 
Gespräch zu bringen, keinerlei Abbruch tun - zumal am Vorabend seines
15-jährigen Bestehens. Vieles, was wir uns vor ein paar Jahren noch 
gar nicht vorstellen konnten, macht das Internet heute möglich. Nicht
zuletzt die ungeheuer kostengünstige Art einer völkerverbindenden 
Kommunikation in Form von Text, Bild und Video für jedermann. Vieles 
kann heute von vielen gemeinsam neu gedacht werden durch das 
Internet. Und noch mehr kann an Neuem getan werden, seitdem es das 
Internet gibt. Eine alte Wahrheit aber hat sich nicht geändert und 
wird sich auch nicht ändern: Informationen haben nur so viel Wert, 
wie der gute Namen dessen, der sie verbreitet. In jenen Bereichen des
Internets aber, wo Anonymität der Personen die Regel ist, das 
Geschnatter von Unbekannten vorherrscht, jegliche Authentizität im 
Netzrauschen untergeht, dort wird nicht wahrhaftige Kommunikation 
begründet, sondern Desinformation.
Das Internet ist außerhalb der Sphäre professionell Informationen 
verarbeitender Markenartikler vielfach nur globaler Stammtisch, 
oftmals Spielfläche von Deppen, Fälschern und Verrückten. Dies sich 
zu vergegenwärtigen, in diesem Sinn Medienkompetenz zu erlangen, ist 
nicht nur das Problem von "gefährdeten" Jugendlichen. Es ist unser 
aller Problem. Sogar das von Ministern.

Pressekontakt:

Berliner Morgenpost

Telefon: 030/2591-73650
bmcvd@axelspringer.de

Original-Content von: BERLINER MORGENPOST, übermittelt durch news aktuell

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