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Berliner Morgenpost: Warum wir uns mit Europa so schwer tun - Kommentar

Berlin (ots)

Gefühlt, keine Frage, wird das am Sonntag ein
Desaster. Es ist Europawahl, und eigentlich will keiner hin. Es 
bedarf schon eines sehr großen Pakets demokratischen Pflichtgefühls 
sich, dennoch aufzuraffen. Dabei geht es doch um sehr viel. 
Milliardensummen werden verteilt, Schadstoffmengen begrenzt, 
Glühbirnen verboten und Handy-Gebühren begrenzt. Naturschutzgebiete, 
Arbeitsplätze, trallala. Am Ende, auch das weiß inzwischen fast 
jeder, entscheidet Brüssel. Und wir wollen nicht wählen.
Okay. Wir berichten ja auch viel zu wenig über die 
Gesetzgebungsverfahren in der EU, über die Europäische Kommission und
den Ausschuss für Agrarfragen. Sehr wichtig der, gibt sehr viel Geld 
aus. Jedes Jahr. Lockt aber kaum einen Hund hinterm Ofen vor. 
Quotenkiller nennt man das beim Fernsehen. Sehr wichtig, aber 
superlangweilig. Warum ist das so?
These 1: Deutschlands Parteien nehmen die EU nicht hinreichend Ernst.
Sie muten uns in diesen Wochen beispielsweise Spitzenkandidaten zu, 
die eben nicht Zukunft, sondern bestenfalls bürokratische Gegenwart 
verkörpern, manche gehören auch schon der Vergangenheit an: Hans-Gerd
Pöttering, Vornamefälltmirnichtein Schulz, dazu die abgelegten 
Parteichefs Bütikofer und Bisky, bei der FDP, immerhin, eine Dame in 
Blond, die man allerdings vor fünf Jahren schon eingesetzt hatte. Und
von der man dann - politisch jedenfalls - auch nicht mehr viel gehört
hat.
These 2: Die Europäische Kommission, das Europäische Parlament, die 
EU-Bürokratie sind kommunikatorisch nicht sonderlich talentiert. 
Suchen Sie mal eine Seite der Europäischen Kommission im Internet 
auf. Niemand scheint sich da auch nur annähernd Mühe zu geben, den 
Menschen, den ganz normalen Menschen, die eben nicht acht Jahre 
Diplomatie studiert haben, die Anliegen der EU, ihre Themen, ihre 
Entscheidungen, ihre Mandatsträger näher zu bringen. Das ist alles 
nur verstehbar für Leute mit sehr viel Zeit, Zähigkeit, 
Leidensfähigkeit.
These 3: Ja, Wolfgang Schäuble hat Recht. Wir bräuchten, um Europa 
attraktiver zu machen für die Menschen, einen direkt gewählten 
Präsidenten der Vereinigten Staaten von Europa. Eine Galionsfigur, an
der man sich reiben, die man bewundern oder zum Teufel wünschen kann.
Nur: Der müsste auch Macht haben, Entscheidungsbefugnis. Das ist, auf
ziemlich lange Sicht, illusorisch. Oder glauben Sie, dass 
Testosteron-Bomber der Marke Sarkozy und Berlusconi gewillt sind, die
Bühne freiwillig einem Größeren, Wichtigeren zu überlassen? Dass 
Nationalstaaten, die ihre innere Freiheit gerade erst wiedergewonnen 
haben, ein Interesse daran haben, Kompetenzen wieder abzugeben, 
diesmal an Brüssel statt an Moskau? Schäubles Idee ist faszinierend, 
wunderbar, aber: vom Mond.
Welche Gründe bleiben also, doch wieder hinzugehen am kommenden 
Sonntag? Der Wille teilzuhaben an dieser großartigen Idee eines 
vereinigten Europas; das Glück, in einer Phase der Geschichte zu 
leben, in der grenzübergreifende demokratische Wahlen überhaupt 
möglich sind. Das ist, bei aller Distanz zu Brüssels Eurokraten, 
nicht wenig. Das ist sehr viel.

Pressekontakt:

Berliner Morgenpost
Chef vom Dienst
Telefon: 030/2591-73650
bmcvd@axelspringer.de

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