Berliner Morgenpost: Afghanistan braucht mehr Soldaten - Leitartikel
Berlin (ots)
In der afghanischen Provinz Helmand haben die Amerikaner nun den größten Einsatz von US Marines seit der Rückeroberung des irakischen Faludscha im Jahr 2004 begonnen. Die 4000 Marines gehören zu jenen insgesamt 21.000 Soldaten, die Barack Obama zusätzlich an den Hindukusch abkommandiert hat. Sie sollen in der von den Taliban gehaltenen Region die neue Strategie der US-Regierung umsetzen. Die besteht aus drei Schritten: Erst sollen die Taliban unter Vermeidung von Zivilopfern aus der Region vertrieben werden. Dann gilt es, das Gebiet zu halten und auf dem ganzen Territorium für Sicherheit zu sorgen, um den Wiederaufbau und die Etablierung staatlicher Strukturen zu ermöglichen. Gerade in der Region Helmand konnte man bisher beobachten, wie eine zu geringe Zahl von Truppen eine falsche Strategie bedingte. Die Briten hatten dort nie genug Soldaten und waren gezwungen, die Jagd auf die Taliban von großen Militärbasen aus zu führen, unterstützt von Luftbombardements. Die dabei zu beklagenden Zivilopfer machten die Soldaten nicht gerade beliebter bei der Bevölkerung. Die litt zudem darunter, dass die Briten nicht in der Lage waren, sie in der Fläche dauerhaft vor den Taliban zu schützen. An diesen Punkten setzt nun die veränderte US-Strategie an. Die vom neuen Oberkommandierenden General Stanley McChrystal ausgegebenen Einsatzregeln definieren den Rahmen für Luftunterstützung weit enger als früher. Zudem wollen die Amerikaner überall in der Provinz kleine Außenposten errichten, die im engen Kontakt mit der Bevölkerung stehen und sofort zur Stelle sind, wenn Hilfe benötigt wird. "Wir werden nicht zur Arbeit fahren. Wir werden zur Arbeit laufen", sagt Lawrence D. Nicholson, Kommandierender einer Marines-Brigade, über diese Form der Stationierung in kleinen Einheiten inmitten der lokalen Bevölkerung. Das ist eine der Lehren aus dem Irak: Nur wenn die Bevölkerung glaubt, dass die Soldaten auch dauerhaft am Ort bleiben, gehen sie das Risiko ein, sich gegen die Taliban zu stellen und die Truppen mit wichtigen Informationen über die Schlupfwinkel der Extremisten zu versorgen. Für die Region Helmand haben die Amerikaner genügend Soldaten bereitgestellt. Aber insgesamt sind immer noch viel zu wenig Nato-Truppen in Afghanistan, um dieses Konzept auch auf andere umkämpfte Regionen anzuwenden. Sicherheit und Stabilität sind aber die Grundvoraussetzungen für jeden zivilen Aufbau und für die Stärkung staatlicher Strukturen, die von Dauer sind. Helmand ist letztlich der Versuch, die neue Strategie der Amerikaner zu testen. Schon zeichnen sich aber Probleme ab. Washington hatte ursprünglich damit gerechnet, dass die afghanische Armee sich zahlreicher an dieser Mission beteiligen würde. Und das amerikanische Außenministerium tut sich ebenfalls schwer, die zugesagten Aufbauhelfer für die Zeit nach der Vertreibung der Taliban bereitzustellen. Das ist das grundsätzliche Problem in Afghanistan: Bisher ist von allem zu wenig vorhanden, um dieses große Land nachhaltig zu befrieden.
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