Berliner Morgenpost: Gemeinsam gegen die Niedertracht - Leitartikel
Berlin (ots)
Wieder kommt einem die Galle hoch. Wenn man die Bilder sieht von dieser kleinen Trauerfeier, die Todesanzeigen in der Zeitung, die kleinen Abschiedsbriefe am Tatort, Blumen, Grablichter. Wut, Empörung, Tränen, Hilflosigkeit und, klar, der Wunsch nach Rache. Hängt sie höher, die Mörder von Dominik Florian Brunner, Familienvater, Freund, Kollege, ohne jede Schuld. Man kann, um ein in diesem Fall wirklich angebrachtes Liebermann-Zitat zu verwenden, gar nicht so viel essen, wie man kotzen möchte beim Anblick solchen Lumpenpacks. Und doch, bitter, hart, mit der Faust in der Tasche müssen wir auch im Angesicht dieser unfassbaren Niedertracht klar bleiben: Sie, diese Widerlinge, deren nahe und ferne Geistesverwandte ja auch hier in Berlin und überall sonst leben, dürfen nicht die Oberhand gewinnen in diesem Rechtsstaat, den wir verteidigen müssen gegen diese Brutalität, dessen Regeln aber nicht geändert werden müssen, damit sich so etwas nicht wiederholen kann. Die Gesetze, die wir haben, bieten hinreichend Handhabe, um fertigzuwerden mit den Tätern. Die Tat selbst verhindern werden sie am Ende nicht. Das können nur wir selbst. Wenn wir ab sofort hingucken und nicht weg, wenn wir uns gegenseitig helfen und nicht weitergehen, wenn wir das, was Dominik Brunner allein vorgemacht hat, nachmachen, aber gemeinsam. Es ist eine Schande für uns alle, dass dieser aufrechte Mann am helllichten Tag und offenbar unter den Augen von Unbeteiligten sterben musste. Nach diesem Fall, nach diesem Mord, nach diesem Tod, den alle einigermaßen wachen Bürger dieser Republik wahrgenommen haben, gibt es keine Ausreden mehr. Wir wissen, dass wir uns nicht auf Videokameras verlassen können, auf die anderen, mutigeren oder auf einen Anruf bei der Polizei (den braucht es auch), die im Zweifel keine andere Chance hat als zu spät zu kommen an einem Bahnsteig im Irgendwo. Wir aber, die dabei sind in solchen Momenten, wir haben eine Chance. Es liegt an uns. Wir müssen versuchen, den Opfern einen Weg aus ihrer fiesen Falle zu weisen. Wir dürfen sie nicht untätig zurücklassen in den Händen ihrer potenziellen Schlächter. Wir dürfen nicht mehr weitergehen und darauf hoffen, dass doch nichts wirklich Schlimmes passiert. Wir dürfen uns nicht begnügen mit posthumen Ordensverleihungen. Sondern wir müssen besonnen und vor allem gemeinsam handeln, wir müssen uns verbünden, andere herbeirufen, die Stärkeren sein, auch, gerade in Situationen, die wir viel lieber vermeiden würden. Wir dürfen uns von der alltäglichen Niedertracht nicht auf der Nase herumtanzen lassen. Niemand hat das Recht dazu, Schwächere zu drangsalieren, sie zu bedrohen oder gar Gewalt anzuwenden. Und wenn seine Jugend noch so bescheiden war. Unsere Gesellschaft wäre am Ende, könnte sie dieses Grundrecht auf Unversehrtheit nicht durchsetzen. Wir müssen es durchsetzen.
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