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Berliner Morgenpost: Auf dieser Buchmesse haben Worte besonderes Gewicht - Leitartikel

Berlin (ots)

War es richtig, China zum Ehrengast der Buchmesse
zu machen? Ein Land, in dem nach wie vor Zensur herrscht und 
missliebige Autoren gegängelt oder in Haft gehalten werden? Noch kann
keiner eine vernünftige Antwort auf diese Frage geben. Denn sie wird 
von den Ergebnissen der Messe abhängen. Sollte der Ehrengast-Auftritt
dazu beitragen, die Machthaber des Landes zu ein wenig mehr 
Liberalität und Meinungsfreiheit zu bewegen, war die Einladung ein 
politischer Erfolg, und man muss den Organisatoren der Messe 
gratulieren.
Doch schon jetzt war durch die Einladung eine Menge zu lernen. Die 
erste Lehre betrifft das Eigengewicht der Worte. Ein Ehrengast hat 
ein Anrecht auf Hochachtung. Sein Status ist eine Auszeichnung für 
Verdienste, die der Ehrengastgeber bewundert. Doch der Vertrag über 
Chinas Auftritt in Frankfurt wurde nicht mit bewundernswerten 
Verlegern oder Schriftstellern geschlossen, sondern mit dem 
Ministerium für Presse und Propaganda, also mit den Zensoren des 
Landes. Der chinesischen Delegation gehören Vertreter an, die mit 
Meinungsfreiheit wenig im Sinn haben. Es macht den notwendigen Streit
mit ihnen nicht leichter, wenn sie sich auf ihre Rolle als Ehrengäste
berufen können.
Rund 500 Veranstaltungen werden in Frankfurt dem Ehrengastland und 
seiner Kultur gewidmet sein. Auf 250 davon, die nicht das offizielle 
China, sondern ausländische Verlage ausrichten, kommen kritische 
Stimmen zu Wort, also Autoren, die den Machthabern nicht nach dem 
Munde reden. Doch das heißt noch lange nicht, dass beide Seiten 
miteinander ins Gespräch kämen. Der zentrale Ort, an dem sich die 
Repräsentanten des Regimes ihren Kritikern stellten, ist nicht in 
Sicht. Doch damit wird das Konzept der Messe fragwürdig, neutrale 
Plattform für den Meinungsstreit zu sein. Sie kann Vielfalt 
garantieren, doch der Konfrontation kann ein Ehrengast bequem 
ausweichen.
Und schließlich noch diese Lehre: Ein Politiker muss im Interesse 
seines Landes auch mit Diktatoren oder autoritären Herrschern 
verhandeln. Ein Intellektueller jedoch sollte, wenn er glaubwürdig 
bleiben will, einen Diktator einen Diktator nennen und einen 
autoritären Herrscher einen solchen. Angela Merkel, Roland Koch und 
Petra Roth schlugen bei der Eröffnung dem Ehrengast gegenüber einen 
politisch rundum verantwortlichen, diplomatischen Ton an. Das ist 
ihre Aufgabe. Buchmesse-Direktor Juergen Boos und Börsenverein-Chef 
Gottfried Honnefelder taten es ihnen gleich. Ist das ihre Aufgabe? Zu
den besten Traditionen der Literatur gehört es, den Einzelnen gegen 
die Zumutungen der Politik zu verteidigen. In China wird Liu Xiaobo, 
der Ex-Präsident des unabhängigen chinesischen PEN und 
Bürgerrechtler, seit Monaten in Haft gehalten. Er hat ein Anrecht 
darauf, vom Literaturbetrieb nicht vergessen zu werden. Nach seinem 
Schicksal müssen die chinesischen Machthaber in Frankfurt im Namen 
der Literatur gefragt werden. Hätte es dafür eine bessere Gelegenheit
als die Eröffnungsveranstaltung gegeben? Doch Liu Xiaobos Name fiel 
nicht.

Pressekontakt:

Berliner Morgenpost
Chef vom Dienst
Telefon: 030/2591-73650
bmcvd@axelspringer.de

Original-Content von: BERLINER MORGENPOST, übermittelt durch news aktuell

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