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BERLINER MORGENPOST

Berliner Morgenpost: Ein absurder Kassenstreit - Leitartikel

Berlin (ots)

Mitte Juni sagte der Präsident des Bundesverbandes
der Deutschen Industrie, Hans-Peter Keitel: "Ich wehre mich gegen 
eine rein statische Betrachtungsweise, dass wir erst Schulden 
abtragen und erst dann entlasten können." Die schwarz-gelbe Koalition
folgte seiner Auffassung aus eigenem Antrieb. Sie beschloss, 24 
Milliarden Euro Entlastung für die Steuerzahler in der 
Koalitionsvereinbarung festzuschreiben. Eine Woche nach deren 
Verabschiedung auf Parteitagen der drei Koalitionsparteien sagte 
Keitel gestern, die Priorität des BDI laute nun jedoch: "Haushalte 
konsolidieren. Das ist wichtiger als umfassende Steuersenkungen."
Binnen vier Monaten hat der BDI seine Haltung zum zentralen 
Wahlkampfversprechen Angela Merkels ins Gegenteil verkehrt, ohne dass
sich die Gesamtlage grundsätzlich gewandelt hätte. Ein Verbandschef 
steht zwar unter dem Druck von Mitgliedern, die vielleicht nicht alle
die frühere Position gutgeheißen haben. Trotzdem ist ein solcher 
Zickzackkurs kaum geeignet, die Resonanz und den Einfluss der 
Arbeitgeber im Kanzleramt zu steigern.
Merkel hatte Steuersenkungen versprochen - es war auch im Wahlkampf 
schon ersichtlich, dass diese nicht kurzfristig gegenfinanziert 
werden können. Richtig war es trotzdem, denn die Rezessionsabwehr 
muss schnell erfolgen, während Strukturreformen im Sozialsektor oder 
im Mietrecht ihre Zeit benötigen. Solche Reformen hatte Hans-Peter 
Keitel ebenfalls angemahnt. Die Vorschläge gehen in die richtige 
Richtung - gemessen aber wird in einer Krise zu Recht mit zweierlei 
Zeitmaß.
Eine vergleichbar sprunghafte Haltung nehmen manche Länderchefs ein, 
auch solche, die mit in der Koalitionsrunde saßen. Verfassungsklage 
gegen Steuersenkungen will da sogar einer von ihnen einreichen. Von 
den protestierenden CDU-Ministerpräsidenten wäre es nun interessant 
zu hören, ob das CDU-Statut nun gilt oder nicht. Dem Statut gemäß 
entscheidet ein kleiner Parteitag über den Koalitionsvertrag. Ein 
solcher Parteitag hat den Vertrag einstimmig gebilligt. Lesen die 
Ministerpräsidenten Zeitung? Sehen sie fern?
Wenn die Länderchefs glauben, Koalitionsverträge und Bundesgremien 
ihrer eigenen Partei seien nur lästiges protokollarisches Beiwerk auf
dem Weg zum politischen Barrikadenkampf, dann verlieren sie 
Vertrauen, sie verlieren Respekt, sie schaden der Kanzlerin. Die 
Bundesregierung wird ihnen als Antwort womöglich einmal die Pistole 
bei Themen auf die Brust setzen, die den Ländern mehr nutzen als dem 
Bund. Steuersenkungen waren seit Monaten, ja seit Jahren ein 
Zentralthema Angela Merkels. Die Verschuldungshöhe war bekannt, 
ebenso der Stellenwert ausgabenwirksamer neuer Familienleistungen im 
Denken der CDU. Zu behaupten, "Steuersenkungen auf Pump" seien eine 
Überraschung, ist für gestandene Ministerpräsidenten und 
Verbandschefs so absurd wie die Empörung von Kunden über den 
angeblich völlig überraschenden Zahlungsvorgang an der Ladenkasse.

Pressekontakt:

Berliner Morgenpost
Chef vom Dienst
Telefon: 030/2591-73650
bmcvd@axelspringer.de

Original-Content von: BERLINER MORGENPOST, übermittelt durch news aktuell

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